Es ist alles noch viel schlimmer – aber das soll keiner wissen: 2019 haben nur 58 Prozent der kriminellen Ausländer einen Landesverweis kassiert. Diese Zahl, die das Bundesamt für Statistik jüngst bekannt gab, sorgt nicht nur bei der SVP für Empörung. Das heisst allerdings noch lange nicht, dass diese Straftäter die Schweiz auch wirklich verlassen. Denn die offizielle Statistik des Bundes zeigt nur, wie viele Landesverweise Schweizer Richter ausgesprochen haben. Wie gross die Zahl derjenigen ist, die dennoch im Land bleiben – darüber gibt sie keine Auskunft.
Wie bei abgewiesenen Asylbewerbern ist auch bei kriminellen Ausländern mit Landesverweis eine Ausschaffung nicht immer möglich. Zum Beispiel dann nicht, wenn im Heimatstaat Krieg herrscht oder das Herkunftsland Personen einfach nicht zurücknimmt.
Die Daten sind da ...
Wer beim Bund nachfragt, wie viele kriminelle Ausländer die Schweiz tatsächlich verlassen haben, erhält seit Jahren die Antwort, dass man dazu keine Daten habe. Der Bund wolle die Antwort auf diese Frage gar nicht wissen, warf alt SVP-Nationalrat Adrian Amstutz (66) dem Bundesrat an der gestrigen Medienkonferenz vor. Aus der Luft gegriffen ist dieser Vorwurf nicht – er greift aber zu kurz.
BLICK fragte bei verschiedenen Bundesstellen nach. Diese reichten die Anfrage wie eine heisse Kartoffel von Amt zu Amt weiter. Niemand wollte zuständig sein.
Letztlich räumt das Staatssekretariat für Migration (SEM) nach beharrlichem Nachfragen ein: Ja, der Bund hat die Daten! BLICK-Recherchen zeigen, dass die Bundesverwaltung die Daten zum Landesverweis-Vollzug schon seit drei Jahren erfasst.
... aber der Bund gibt die Zahlen nicht heraus
Der Bund macht dennoch keine Angaben über die Zahl der tatsächlich erfolgten Ausschaffungen von ausländischen Straftätern. Das SEM hat dafür folgende Ausrede parat: Man habe derzeit noch nicht die nötigen «technischen Voraussetzungen», um eine Statistik zu erstellen.
Wie sich der Bund herausredet, um seiner Informationspflicht nicht nachkommen zu müssen, klingt wenig glaubwürdig. Auch das Staatssekretariat für Migration dürfte über ein brauchbares Tabellenkalkulationsprogramm wie Excel verfügen.
Zudem ist der Bund – wie er jetzt gezeigt hat – ja auch in der Lage, verlässliche Zahlen zur Ausschaffungsquote zu liefern. Und diese Daten zieht das Bundesamt für Statistik aus derselben Datenbank, in der auch erfasst wird, wann und unter welchen Umständen jemand das Land wirklich verlassen hat: nämlich aus dem Strafregister-Informationssystem Vostra.
Besonders brisant ist der Zeitpunkt, zu dem der Bund versucht, der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorzuenthalten: In zwei Monaten stimmt die Schweiz über die Kündigungs-Initiative der SVP ab. Dabei geht es um die Abschaffung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Wie aber soll die Bevölkerung über die Begrenzungs-Initiative befinden, wenn verheimlicht wird, ob Vergewaltiger ohne Schweizer Pass tatsächlich das Land verlassen müssen?
Keller-Sutter kommuniziert via Twitter
Das SEM verweist auf eine laufende Gesetzesänderung. Erst wenn diese umgesetzt sei, könne man tatsächlich sagen, wie viele verurteilte Ausländer wirklich ausgeschafft worden seien. Tatsache aber ist, dass die Revision nichts daran ändert, dass der Bund die Daten schon längst hat, auf welche die SVP seit nunmehr sieben Jahren pocht. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (41) wirft dem Bundesrat vor, auf Zeit zu spielen.
Was man konstatieren muss: Offene Kommunikation sieht anders aus. Ein Beleg dafür ist die neue Kommunikationsstrategie des Justizdepartements von Karin Keller-Sutter (56), zu der das SEM gehört. Ihr Departement schwieg bis gestern auf Medienanfragen zu den Ausschaffungszahlen.
Gestern räumte das Justizdepartement dann plötzlich Handlungsbedarf ein. Keller-Sutter werde im Herbst Massnahmen mit den Kantonen besprechen. Das teilte das Departement per Twitter mit. So hatte man das zwar in die Welt gesetzt, aber die Medien umgangen.