Wird der Volkswille missachtet?
Warum die Schweiz so heftig über Tabakwerbung streitet

Der Streit um das Tabakwerbeverbot scheint kein Ende zu nehmen. Am Montag muss der Nationalrat erneut über die Umsetzung entscheiden. Die Debatte zeigt: Bei der Tabakprävention bekommt die Schweiz kaum ein Bein vor das andere.
Publiziert: 10:27 Uhr
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Aktualisiert: 12:08 Uhr
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Vor bald drei Jahren nahm das Schweizer Stimmvolk das Begehren an.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Schweizer Parlament ringt um Umsetzung des Tabakwerbeverbots für Minderjährige
  • Ständerat hält an Ausnahmen fest, Gesundheitsexperten warnen vor Verfassungswidrigkeit
  • Schweiz belegt Platz 89 von 90 im internationalen Lobby-Index
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Vor bald drei Jahren entschied das Schweizer Stimmvolk: Die Tabakwerbung soll überall verboten werden, wo Kinder und Jugendliche sie sehen. Doch im Parlament droht die Umsetzung langsam auseinanderzufallen.

Am Montag kommt das Geschäft zum zweiten Mal in den Nationalrat. Anfang des Jahres schickte er den ersten Vorschlag des Ständerats zurück. Dieser wollte keine ausnahmslose Beschränkung von Werbung und Sponsoring, wie es die Initianten und der damalige Gesundheitsminister Alain Berset (52, SP) forderten.

Ausnahmen entgegen dem Verfassungsauftrag

Auch im zweiten Anlauf bestand die kleine Kammer auf zahlreichen Ausnahmen: etwa für mobiles Verkaufspersonal und Tabakwerbung an öffentlich zugänglichen Orten sowie das Sponsoring von Veranstaltungen, sofern die Werbung vor Ort für Minderjährige weder zugänglich noch sichtbar ist.

Dabei hielt selbst das Bundesamt für Gesundheit fest, dass es beim streng formulierten Verfassungstext kaum Spielraum gebe. «Die Anpassungen des Ständerats sind nach Auffassung der Verwaltung nicht verfassungskonform», schrieb es letzten Januar in einem Gutachten. «Der Ständerat missachtet den Volkswillen», kritisierte die Krebsliga den Entscheid.

Von Bürgerlichen kommt Widerstand aus anderen Motiven: Der Entwurf schränke die freie Marktwirtschaft zu stark ein, monierte die SVP in der ersten Nationalratsdebatte. Und spannte mit den Linken zusammen, um den Entwurf abstürzen zu lassen. «Wir wollen die Tabakindustrie nicht zwingen, keine eigene Markenstrategie mehr zu fahren», sagte der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner (62).

Mächtige Tabak-Lobby behindert Tabakprävention

Glarner fasste damit zusammen, warum die Schweiz bei der Tabakprävention dem Rest Europas hinterherhinkt. Denn mit Philip Morris International, British American Tobacco und Japan Tobacco International betreiben gleich drei der grössten internationalen Tabakkonzerne in der Schweiz Produktionsstätten für Zigaretten und andere Rauchwaren. Und haben folglich auch in der Politik einen grossen Einfluss.

Dadurch muss die Schweiz weiterhin «Schulden» abzahlen, die sie sich vor zwei Jahrzehnten aufbaute: Im Jahr 2004 verpflichtete sie sich mit der Unterzeichnung des Internationalen Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakkonsums, mittels zahlreicher Massnahmen wie etwa einem Tabakwerbeverbot das Rauchen unattraktiver zu machen. Umgesetzt hat der Bund den Vertrag bis heute nicht – als eines von vier europäischen Ländern.

Gleich mehrere Rankings brandmarkten die Eidgenossenschaft als Tabak-Sorgenkind. Gemäss der «Tobacco Control Scale 2021» der europäischen Krebsligen macht von 37 Ländern nur Bosnien und Herzegowina weniger für die Tabakprävention. Und im internationalen Tabaklobby-Index 2023 landet die Schweiz auf Platz 89 von 90. Schlimmer sei der Einfluss der Tabakfirmen nur in der Dominikanischen Republik.

«Ungenügendes» Tabakgesetz

Zumindest setzte der Bundesrat diesen Oktober das neu geschaffene Tabakproduktegesetz in Kraft. Es verbietet den Verkauf an Minderjährige schweizweit und verbietet bereits Tabakwerbung auf öffentlichem sowie privatem Grund, wenn diese von öffentlichem Grund eingesehen werden können.

Dennoch gebe es viel Nachholbedarf, bilanzierten die Gesundheitsligen und Präventionsfachstellen. Und kündigten bereits Widerstand an, sollte das Parlament ein abgeschwächtes Werbeverbot umsetzen. Notfalls ergreife man das Referendum, sagten die Initianten um den ehemaligen SP-Ständerat Hans Stöckli (72), Präsident des Vereins «Kinder ohne Tabak».

Die einzige Frage, die bleibt: Wie lange dreht das Gesetz zuvor im Parlament noch seine Runden?

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