Vermummte Demonstrierende, die Steine auf Polizisten werfen. Einsatzkräfte in Kampfmontur, die Gummischrot und Pfefferspray einsetzen. Schweizweit ist von steigender Gewaltbereitschaft bei Demonstrationen die Rede. Aber auch von unverhältnismässigen Polizeieinsätzen.
Auslöser, sehr oft: Unzufriedenheit. Frustration. «Die Politik», «die Bonzen», «die Konzerne» und «ihr Kapital» – oft erheben Demonstrierende ihre Stimme gegen eine als verwerflich angesehene Übermacht, sehen sich als David im Kampf gegen Goliath. Manchmal ist es auch der Frust über ein verlorenes Fussballspiel oder es gibt Scharmützel zwischen verfeindeten Fangruppen.
In Bern kam es unter anderem während der Pandemie bei Kundgebungen gegen die Corona-Schutzmassnahmen zu Ausschreitungen. Die Polizei wehrte sich mit Wasserwerfer, Reizstoff, Gummischrot.
Kaputte Infrastruktur, Schaufenster und Autoscheiben
Luzern hat es mit Fussballfans zu tun – wegen Ausschreitungen mit der Polizei, Einsatz von Pyros oder demolierter Infrastruktur.
Versprayte Fassaden, eingeschlagene Schaufenster, brennende Container auch in Zürich. Aus Wut über die Räumung des Koch-Areals, das zehn Jahre lang besetzt war, zogen Hunderte Personen durch die Stadt. Darunter zahlreiche gewaltbereite Vermummte. Sie gingen teilweise mit Steinen gegen Einsatzkräfte vor. Das Resultat: grosser Sachschaden.
Bei den jüngsten Ausschreitungen am Samstag in Zürich zerstörten Linksextreme bei einer unbewilligten Demo Schaufenster und Autoscheiben.
In Basel sind in den vergangenen Wochen mehrere Demonstrationen und die damit verbundenen Polizeieinsätze aus dem Ruder gelaufen. Die «revolutionäre Klimademo» im Februar etwa. Oder die Kundgebung zum internationalen Tag der Frau im März. Einsatzkräfte gingen mit Gummischrot gegen Demonstrierende vor.
Die linken Parteien in Basel forderten sofort den Rücktritt des zuständigen Polizeikommandanten Martin Roth (58). Sogar Amnesty International schaltete sich in die Diskussion ein. Die Organisation will, dass die Vorfälle in Basel unabhängig untersucht werden. Zudem will sie der Polizei den Einsatz von Mehrfachgeschossen verbieten.
SVP will in Zürich und Basel «Chaoten» an den Kragen
Auch die SVP Basel-Stadt wurde aktiv. Sie lancierte kurzerhand eine Doppelinitiative – gegen «Chaoten» und die «Demo-Flut» in der Stadt. Ihre Forderung: «Demo-Chaoten» sollen einerseits für Kosten der Einsätze und Schäden aufkommen. Andererseits sollen bei Bewilligungen für Demonstrationen öffentlicher Raum und öffentlicher Verkehr stärker berücksichtigt werden.
Die Verursacher von ausserordentlichen Polizeieinsätzen im Kanton Zürich sollen ebenfalls künftig die Kosten übernehmen. So will es die Regierung. Die Junge SVP fordert mit ihrer Anti-Chaoten-Initiative sogar noch mehr: Sie will auch Sachbeschädigungen den Veranstaltern verrechnen. Die Sicherheitsdirektion von Regierungsrat Mario Fehr (64) hat auf mehrere Blick-Anfragen zum Thema nicht reagiert.
Die Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (43) hingegen teilt die Stossrichtung der Initiativen. «Wir wollen weniger unbewilligte Demos und mehr Ordnung», sagt sie zu Blick. Man müsse Lösungen finden, die auch umgesetzt werden könnten. Harte Arbeit, die nicht von heute auf morgen Erfolge verspreche.
Mehr Dialog, mehr Respekt
Grundsätzlich verliefen fast alle Demonstrationen friedlich, so Eymann. Ihr Rezept, um künftig Eskalationen zu verhindern, lautet: «Mehr Dialog.» Für die Basler Sicherheitsdirektorin ist klar, dass sich alle Parteien von links bis rechts klar von gewalttätigen Demonstrierenden distanzieren müssten – und zwar bereits im Vorfeld. Die Sicherheitsdirektorin wünscht sich zudem mehr Respekt gegenüber Einsatzkräften.
Eine Forderung, die Adrian Wüthrich (42), Präsident des Polizeiverbands Bern-Kanton (PVBK), teilt. Er sagt: «Uns bekümmert die Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten.» Vielen Chaoten, die «gegen den Staat in den Krieg ziehen», sei nicht bewusst, dass hinter den Einsatzkräften Menschen stünden.
Wüthrich sagt, hier brauche es entsprechende Unterstützung aus der Politik. Denn: Bei regelmässigen Grosseinsätzen komme die Polizei an ihre Kapazitätsgrenzen. Das hat man im Kanton Bern – durch einen Vorstoss von Wüthrich – erkannt. Dort soll das Korps bis 2029 um insgesamt 360 Stellen aufgestockt werden.
Zudem liesse sich mit guter Organisation und Infrastruktur viel herausholen, erklärt Wüthrich. Etwa mit Fan-Korridoren. Der Zaun beim Berner Wankdorfstadion habe bereits viel Personalressourcen entlastet.
Wüthrich ist überzeugt, dass noch mehr drinliegt. Er spricht sich explizit gegen Demonstrationsverbote aus, wie es sie in anderen Ländern gibt. Er fordert aber: «Wir wollen, dass die Gewalt aufhört. Die Einsatzkräfte wollen am Abend nach einem Einsatz unverletzt zurück zu ihren Familien.»