Wegen jungfreisinniger Volksinitiative
Bauarbeiter-Rente mit 60 in Gefahr

Die Bauarbeiter fürchten sich vor der Abstimmung vom 3. März über die jungfreisinnige Renten-Initiative. Kommt diese durch, bedeutet dies das Aus für die vorzeitige Rente mit 60. Auch in andern Branchen hätte ein Ja Konsequenzen für die Frührente.
Publiziert: 05.01.2024 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2024 um 09:14 Uhr
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Die körperliche Belastung auf dem Bau ist hart. Deshalb gibt es seit 20 Jahren ein Frührente-Modell ab 60.
Foto: PIUS KOLLER
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Ein halbes Jahr ist es her, da klopften sich Gewerkschaften und Baumeister auf die Schultern und feierten eine gemeinsame Erfolgsgeschichte: das 20-Jahr-Jubiläum der Stiftung FAR für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe. Seit 2003 können Strassenbauer, Maurer oder Eisenleger dank dieser sozialpartnerschaftlichen Lösung über zusätzliche Lohnabzüge bereits mit 60 Jahren in Rente gehen. 

Damit wollte man der starken körperlichen Belastung der Bauarbeiter Rechnung tragen und die damit verbundenen Beschwerden im Alter mildern. Die Gewerkschaften sprechen von einer «sozialpolitische Errungenschaft» und die Baumeister loben ebenso das «Pioniermodell». Mehr als 28'000 Arbeitnehmende haben bisher davon Gebrauch gemacht.

Einer davon ist der Berner Peter Leuenberger (64). Über vier Jahrzehnte hat er auf dem Bau geschuftet – zuletzt als Polier bei der Firma Marti AG. Schon sein Grossvater und zwei Onkel waren auf dem Bau tätig, er selbst half bereits als Jugendlicher ab und zu mit. Bis auf einen einjährigen Unterbruch als Chauffeur blieb er der Branche sein Leben lang treu.

Seit 2019 ist er zwar FAR-Rentner, aber immer noch bei Temporäreinsätzen auf Baustellen im Berner Inselspital anzutreffen. So ist er derzeit etwa mit Umbauarbeiten in den Operationssälen beschäftigt. «Ich arbeite so drei, vier Tage pro Monat – es macht mir einfach Spass», sagt er.

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Trotzdem ist er froh um die Frührente. «Selbst mit Maschinen ist es immer noch hart, auf dem Bau zu arbeiten.» Insbesondere Nässe und Kälte würden den Büezern zu schaffen machen, sagt Leuenberger. «Das spürt man je länger, desto stärker in den Knochen, ab 50 wird es immer schwieriger.»

Auch bei ihm hat sich die Arbeit im einen oder anderen Gebresten bemerkbar gemacht. «Es zwickt hier und dort, etwa mit Schulter- und Gelenkschmerzen», sagt Leuenberger. Vor allem im Winter mache sich Rheuma bemerkbar. «Es gab Tage, da konnte ich im Geschäftsauto kaum die Kupplung drücken vor Schmerz.»

Viele seiner Kollegen hätten aber grössere Gesundheitsprobleme als er. Um so mehr macht dem Gewerkschafter Sorgen, dass das Rentenalter für die Büezer nun wieder steigen könnte. 

Volksinitiative mit Folgen

Grund dafür ist die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen, die am 3. März an die Urne kommt: Diese bringt die Bauarbeiter-Rente mit 60 in Gefahr. Bei einem Ja würde das Rentenalter bis 2033 schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen, und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt: Pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung soll es um 0,8 Monate steigen. Rauf auf 67, 68 oder mehr. Automatisch.

Damit würde auch das FAR-Rentenalter nach oben geschraubt. Denn der Gesamtarbeitsvertrag hält ausdrücklich fest, dass der Leistungszeitraum «auf die letzten fünf Jahre vor dem ordentlichen AHV-Rentenalter beschränkt» ist. Kommt die Renten-Initiative durch, steigt also auch die Limite für Bauarbeiter auf 61, 62 oder höher. 

«Das widerspricht der ursprünglichen Absicht völlig», sagt Nico Lutz (53), Bausektor-Chef bei der Gewerkschaft Unia. Vor der Einführung des FAR-Modells hätte nur etwa ein Fünftel der Bauarbeiter gesund das Rentenalter erreicht, der Rest ist vorher aus dem Job ausgeschieden: Etwa je ein Fünftel sei vorher gestorben oder in der IV gelandet, so Lutz. Und gut 40 Prozent hätten wegen der Belastung in eine andere Branche gewechselt. Er macht klar: «Mit 60 sind viele Bauarbeiter körperlich durch, da mag es ein, zwei Jahre mehr nicht vertragen.»

Frührente auch andernorts gefährdet

Die Gewerkschaften werden auf breiter Front gegen die jungfreisinnige Initiative mobilisieren. Auch Polier Leuenberger wird sich engagieren. Denn nicht nur auf dem Bau ist die frühere Rente gefährdet, auch in anderen Branchen würden die Regeln infrage gestellt. So gibt es beispielsweise im Maler- und Gipsergewerbe, in der Marmor- und Granitbranche und im Westschweizer Ausbaugewerbe ähnliche Lösungen. «Ein höheres Rentenalter ist in diesen Branchen schlicht realitätsfremd», moniert Unia-Mann Nico Lutz.

Nicht so sieht dies der Schweizerische Baumeisterverband, der die Renten-Initiative trotz Konsequenzen für das FAR-Modell unterstützt. Dies aus gesellschaftlicher Gesamtverantwortung, um die Altersvorsorge mittelfristig zu sichern, wie Vizedirektor Marcel Sennhauser (54) erklärt.

Denn die graduelle Anhebung des Rentenalters würde zusammen mit der jüngsten AHV-Reform das finanzielle Gleichgewicht der AHV bis 2045 sichern. Er verweist zudem darauf, dass schon heute manche Arbeitnehmende über das 60. Lebensjahr weiterarbeiten würden – «auch über das heutige Rentenalter hinaus».

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