Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sorgt der Bundesrat für Kopfschütteln im Ausland. Mehrfach lehnte er aus Neutralitätsgründen Anfragen für den Export von Rüstungsmaterial ab. Weil die Ukraine Kriegspartei ist, durfte Dänemark keine Schweizer Piranha-Radschützenpanzer weitergeben, Deutschland keine Panzermunition und Spanien keine Flugabwehrkanonen.
Doch nun kommt Bewegung in die Sache. Nachdem das Kriegsmaterialgesetz erst im letzten Sommer verschärft wurde, wird bereits seit Monaten wieder über Lockerungen diskutiert. Sogar die SP will neu Ausnahmen ermöglichen, wenn ein Land wie die Ukraine angegriffen wird und die Vereinten Nationen dies verurteilen. Gleichzeitig diskutiert die Sicherheitskommission des Ständerats (SiK-S) bald eine Motion von FDP-Präsident Thierry Burkart (47) für Lockerungen.
Kommission fordert massgeschneiderte Ausnahme
Nun kommt ihr die nationalrätliche Schwesterkommission (SiK-N) sogar noch zuvor. Am Dienstag hat eine Mitte-Links-Mehrheit mit 14 gegen 11 Stimmen gleich zwei Kommissionsvorstösse verabschiedet. Beide liegen Blick vor – und sie haben es in sich.
Aufs Gas treten will die SiK-N mit einer dringenden, massgeschneiderten Kommissionsinitiative – einer «Lex Ukraine». So soll die Schweiz auf die Nichtwiederausfuhr-Erklärung verzichten, wenn «die Wiederausfuhr des Kriegsmaterials an die Ukraine im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg erfolgt». Geht es nach der Kommission, tritt die Gesetzesänderung schon am 1. Mai in Kraft und wäre vorerst bis Ende 2025 befristet.
Bei der Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes sei klar gewesen, «dass es unvorhersehbare Situationen geben kann, die von der Schweiz ein pragmatisches Vorgehen abverlangen können», begründet die Kommission. Das sei heute sicher gegeben. Mit der befristeten Lösung sollen aber erst kürzlich beschlossene Regeln nicht schon wieder geändert werden. Gleichzeitig würden der Schweiz Handlungsoptionen eröffnet, «um im westlichen Wertebündnis einen Beitrag für die Ukraine leisten zu können».
Auf Vereinte Nationen abstützen
Die zweite Kommissionsmotion lehnt sich an den Vorschlag der SP an. Im Kriegsmaterialgesetz sollen demnach Ausnahmen ermöglicht werden. So soll der Bundesrat auf Gesuch einer ausländischen Regierung die Nichtwiederausfuhr-Erklärung aufheben können, wenn es um eine Situation geht, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als im Widerspruch zum völkerrechtlichen Gewaltverbot deklariert. Auch darf sie nicht überwiegenden aussenpolitischen Interessen der Schweiz entgegenstehen.
Sollte der Sicherheitsrat wegen eines Vetos – wie im Fall des Ukraine-Kriegs von Russland – zu keinem Entscheid kommen, müsse die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einer Zweidrittelmehrheit einen Verstoss gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot feststellen.
Neutralität werde nicht verletzt
Mit einer «Lex Ukraine» werde die Neutralität der Schweiz nicht verletzt, zeigt sich die Kommissionsmehrheit überzeugt. Denn die Schweiz selbst würde keine Waffen direkt an die Ukraine liefern. Der Entscheid liege einzig bei Ländern, die zuvor in der Schweiz Kriegsmaterial bezogen haben. Die Nichtwiederausfuhr-Erklärung würde nur dann hinfällig, wenn es sich um Wiederausfuhren an die Ukraine handelt.
Bedenken scheint die SiK-Mehrheit dabei keine zu haben. So sei festzuhalten, «dass dies alles demokratische Länder sind, die ihrerseits einen Entscheid wohlüberlegt treffen müssen». Das aber dürften im Parlament nicht alle so sehen. Eine einseitige Bevorzugung in einer kriegerischen Auseinandersetzung dürfte noch einiges zu reden geben.