Aus Sicht des Bundesrats ist es ein Aufruf, das Gesetz zu brechen. Per Brief bat Deutschland die Schweiz vor einigen Wochen erneut, grünes Licht für die Lieferung von Panzer-Munition aus hiesiger Produktion in die Ukraine zu geben. Doch Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) bleibt dabei: Das Neutralitätsrecht verbiete ihm, die Weitergabe in einen Staat zu autorisieren, der in einen Krieg verwickelt ist.
Die Haltung des Bundesrats ist auch bei uns umstritten. Politiker und Juristen sind sich nicht einig darüber, ob es wirklich keine Möglichkeit gibt, die Munitions-Weitergabe zu ermöglichen. Vor lauter innenpolitischer Diskussionen bleiben dabei aber einige Fragen aussen vor: Warum liefert Deutschland nicht einfach, wenn es unserem nördlichen Nachbarland derart wichtig ist, dass die Ukraine die 12'400 Patronen erhält? Und was wäre dann die Reaktion der Schweiz?
«Vorsorgliche Massnahmen» möglich
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kann oder will diese Frage nicht beantworten. Bisher sei das nicht eingetreten, eine Antwort «wäre deshalb spekulativ», teilt ein Sprecher mit. Er verweist lediglich auf die Kriegsmaterialverordnung. Diese hält fest, dass das Seco «vorsorgliche Massnahmen» ergreifen kann, wenn es Hinweise auf Verletzung einer Nichtwiederausfuhr-Erklärung gibt.
Was solche vorsorglichen Massnahmen für den Fall der Weiterlieferung der Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard sein könnten, wird nicht näher präzisiert. Eine Möglichkeit wäre, dass die Schweiz Deutschland als Sanktion für eine bestimmte Zeit keine Munition und Waffen mehr liefert. Diese Massnahme hat der Bund 2017 im Falle Ghanas getroffen, nachdem der afrikanische Staat Schweizer Sturmgewehre und Granatwerfer ohne Erlaubnis der Schweiz in die USA hatte weiter exportieren wollen. Bussen sind im Gesetz jedoch keine vorgesehen.
Deutschland hat kaum etwas zu befürchten
Doch dass die Schweiz im vorliegenden Fall wirtschaftliche Sanktionen ergreifen würde, ist sehr unwahrscheinlich. Personen, die sich mit der Materie auskennen, gehen davon aus, dass ein Verstoss Deutschlands gegen die Vereinbarung mit der Schweiz höchstens für diplomatische Verstimmung sorgen dürfte. Die Schweiz würde wohl den Botschafter einbestellen und allenfalls noch eine Protestnote an Deutschland richten. Das wars.
Angesichts dessen stellt sich die Frage, weshalb Deutschland nicht einfach eigenmächtig handelt und den Vertrag mit der Schweiz bricht. Kaum ein westlicher Staat ausserhalb der Schweiz dürfte die deutsche Regierung im konkreten Fall dafür kritisieren. Geschweige denn selbst Konsequenzen ziehen.
Will Deutschland gar keine Lösung?
In Bern hegt man deshalb schon länger einen Verdacht: Der Knatsch mit der Schweiz über die Gepard-Munition sei vor allem ein Ablenkungsmanöver Deutschlands, um den Blick weg von den innerdeutschen Kontroversen über den Umfang und die Geschwindigkeit von Waffenlieferungen abzulenken. Diesen Verdacht äussert nicht nur FDP-Chef Thierry Burkart (47). Auch in der Bundesverwaltung ist man davon überzeugt, wie hinter vorgehaltener Hand zu hören ist.
Die Zweifel an der Ernsthaftigkeit des deutschen Anliegens wurden dadurch genährt, dass die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (57) den Brief mit der erneuten Bitte um Export-Freigabe fälschlicherweise ans Verteidigungs- statt ans Wirtschaftsdepartement schickte. Ein Fehler, der schon zeigt, dass die Angelegenheit in Berlin nicht prioritär ist.
Fest steht: Die 12'400 Patronen werden den Krieg in der Ukraine nicht entscheiden. Nach weniger als zwölf Minuten wären die Patronen im Dauerfeuer verschossen. Wohl auch deshalb fiel die Reaktion der Ukraine auf die Export-Blockade bislang sehr zurückhaltend aus. In der ukrainischen Bevölkerung stösst der Entscheid zwar laut dem Schweizer Botschafter in Kiew, Claude Wild, auf Unverständnis. Doch auf Stufe Regierung zeigte man bisher Verständnis für die Haltung der neutralen Schweiz.