Keine Munition an Ukraine
Nato soll Waffenkauf in der Schweiz überdenken

Deutsche Politiker trauen uns nicht mehr. Nach dem Nein des Bundesrats zur Weitergabe von Panzermunition an die Ukraine plädieren sie dafür, dass Berlin – ja, das Verteidigungsbündnis Nato – keine Waffen mehr bei uns kauft. Auch in der Schweiz hagelt es Kritik.
Publiziert: 04.11.2022 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2022 um 10:06 Uhr
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Berlin darf einst in der Schweiz gekaufte Panzermunition nicht an die Ukraine weitergeben, hat der Bundesrat beschlossen.
Foto: AFP

In Berlin ist das Unverständnis gross. Deutsche Politiker verstehen nicht, weshalb der Bundesrat es explizit verbietet, vor Jahren bei uns gekaufte Patronen für den Flugabwehrpanzer Gepard an die Ukraine weiterzugeben.

Das deutsche Verteidigungsministerium nimmt den Entscheid zur Kenntnis, will ihn aber gegenüber Blick nicht weiter kommentieren. Doch einflussreiche Politikerinnen und Politiker in unserem nördlichen Nachbarland drohen unverhohlen damit, die Schweiz bei Munitionsbestellungen künftig aussen vorzulassen.

Das FDP-Bundestagsmitglied Marcus Faber (38) – er sitzt im Verteidigungsausschuss – sagt zu Blick: «Die Schweizer Regierung sollte sich nun deutlich dazu äussern, ob sie Deutschland im Verteidigungsfall so schlecht behandeln will wie die überfallene Ukraine.» Wenn dies so sei, «können wir uns auf Lieferungen unserer freundlichen Nachbarn leider nicht mehr stützen». Dann will der Abgeordnete, dass Deutschland Rüstungsgüter künftig nicht mehr in der Schweiz besorgt.

«Schweiz hilft Putin die Ärmsten auszuhungern»

Noch weiter geht die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (64, FDP). Nicht nur Deutschland, die gesamte Nato müsse «aus schlicht pragmatischen Gründen» die Beschaffung von Schweizer Munition für Waffen, die für das Bündnis existenziell sind, überdenken, «wenn die Gefahr besteht, dass so eine Situation nochmals auftreten könnte», sagt sie.

Helfe die Schweiz nicht, Getreideexporte zu schützen, «dann hilft sie indirekt Russland, die ärmsten Länder auszuhungern». Das zu verhindern, müsse auch im Interesse der Schweiz sein. «Das hat nichts mit Neutralität, sondern mit Anstand zu tun», findet sie.

Mit Panzermunition Exporte ermöglichen

Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (57, SPD) hatte sich vorletzte Woche in einem Brief zum zweiten Mal an den Bundesrat gewandt. Sie bat darum, die Weitergabe der Panzermunition doch noch zu erlauben. Dies mit dem Argument, dass die Ukraine die Munition dringend brauche, um die kritische Infrastruktur zu schützen. Unter anderem würden die Kriegsgeräte eingesetzt, um die Häfen zu sichern und damit die Getreideexporte zu ermöglichen.

Doch Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) sieht keinen Handlungsspielraum. Solange die Ukraine in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, seien der Schweiz durch das Neutralitätsrecht die Hände gebunden.

«Verrat an der Ukraine»

Eine Position, die auch in der Schweiz höchst umstritten ist. Für Jean Ziegler (88), den ehemaligen Uno-Sonderberichterstatter und heutige Berater des Uno-Menschenrechtsrats, ist die Haltung des Bundes «völlig unverständlich und unannehmbar». Sie basiere auf einem falschen Neutralitätsverständnis. «Das ist ein Verrat an der Ukraine», nervt er sich. Aus seiner Sicht hätte der Bundesrat der Weitergabe der Munition längst zustimmen müssen, ohne grosses Aufheben darum zu machen.

Für den einstigen SP-Nationalrat ist klar: «Das Parlament sollte die absurde Bundesratspolitik stoppen!» Tatsächlich ist Mitte-Präsident Gerhard Pfister (60) der Meinung, dass der Bundesrat rechtlich die Möglichkeit hätte, die Weitergabe zu erlauben – ohne Gesetzesänderung.

Keine politische Wertung

Vor allem aber findet der Mitte-Nationalrat: «Es fehlt eine politische Wertung. Diese wäre Aufgabe des Bundesrats.» Niemand verstehe, «wenn die neutrale Schweiz zwar direkt Waffen an Saudi-Arabien liefert, das im Jemen-Krieg mitmacht – wir aber gleichzeitig Deutschland nicht ermöglichen, seine Munition, die es vor Jahren bei uns gekauft hat, an die Ukraine weiterzugeben». Wer den Saudis Waffen liefere, könne auch Deutschland eine Weitergabe zur Verteidigung der Ukraine ermöglichen, «wenn dies in unserem Landesinteresse ist», so Pfister.

Nicht ganz gleich sieht dies FDP-Chef Thierry Burkart (47). Der Ständerat und Jurist ist der Ansicht: «Unter dem aktuellen Recht ist es meines Erachtens nicht möglich, die Ausfuhr zu erlauben. Das wäre ein Bruch mit der Neutralität.» Er kritisiere aber, dass der Bundesrat nicht willens sei, «das Gesetz so anzupassen, dass wir solche Fälle künftig verhindern können». Indem die Schweiz gegenüber denjenigen Ländern, die ähnlich strenge Waffenausfuhrregeln kennen wie die Schweiz, die Nichtwiederausfuhrdeklaration abschaffen würde, könne man das lösen.

So oder so: Wenn in der Schweiz von links bis rechts Kritik kommt und Ungemach aus Deutschland droht, könnte der Druck auf den Bundesrat derart gross werden, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.

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