Nach dem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (64) letzten Mittwoch trat Verteidigungsministerin Viola Amherd (60) vor die Kameras und gab Erstaunliches von sich: «Dass die Schweiz die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial verbietet, wird nicht verstanden.»
Erstaunlich ist das, weil die Mitte-Bundesrätin diese Aussage praktisch Wort für Wort bereits wenige Tage zuvor gemacht hatte – an der Delegiertenversammlung der Offiziersgesellschaft. Damals hagelte es Kritik von der SVP. Nationalrat David Zuberbühler (44, AR) warf Amherd vor, das Kollegialitätsprinzip verletzt zu haben.
Dass die VBS-Chefin nun sogar nachdoppelt, stösst Zuberbühler sauer auf: «Unglaublich, dass sich Amherd im Ausland für die Position der Schweiz quasi entschuldigt.» Die Schweiz dürfe sich dem Druck auf keinen Fall beugen. Denn die Haltung des Gesamtbundesrats sei klar: keine Wiederausfuhr in Kriegsgebiete. «Geben wir die Neutralität preis, gefährdet das die Sicherheit der Schweiz.»
Gutes Zeichen für Diskussion
Nur: Weshalb hat Amherd ihr Statement überhaupt wiederholt? Das VBS gibt sich bedeckt. Sprecher Lorenz Frischknecht sagt bloss: «Die Ausführungen der Chefin sind selbsterklärend; wir äussern uns nicht weiter dazu.»
Für SP-Nationalrätin Franziska Roth (56, SO) ist allerdings klar, warum: «Das war nicht nur ein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern ein Wink mit dem Kanonenrohr.» Mit ihren Aussagen fordere Amherd das Parlament indirekt dazu auf, endlich einen Ausweg aus der Sackgasse aufzuzeigen.
Die Zeichen dafür standen schon schlechter. Dass die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats Expertinnen und Experten eingeladen hat, um über die völkerrechtlichen Aspekte einer indirekten Waffenhilfe an die Ukraine zu diskutieren, deutet Roth als gutes Zeichen.
Gibt die kleine Kammer grünes Licht für eine parlamentarische Initiative, die genau das fordert, wäre die Schwesterkommission im Nationalrat gefragt, einen Gesetzestext zu entwerfen. Die Arbeiten an einem entsprechenden Vorschlag seien bereits fortgeschritten, sagt Franziska Roth.
Der Schweiz sind die Hände gebunden
Einen Schlüssel zum Verständnis liefert Resolution 377(V) der Vereinten Nationen mit dem Titel «Uniting for Peace». Verabschiedet wurde sie 1950, um die Handlungsfähigkeit der Uno-Generalversammlung zu erhalten, falls der Sicherheitsrat durch ein Veto blockiert sein sollte. Greift ein Land ein anderes völkerrechtswidrig an, kann die Generalversammlung Massnahmen empfehlen, die den Frieden wiederherstellen sollen.
Das Problem: Der Resolution 377(V) fehlt der juristische Hebel. Der Schweizer Diplomat und Publizist Paul Widmer (74) zu SonntagsBlick: «‹Uniting for Peace› ändert an der Sache nichts. Die Generalversammlung kann eine Mehrheitsansicht zum Ausdruck bringen, doch nur der Sicherheitsrat entscheidet rechtlich verbindlich.» Es handelte sich also bloss um eine politische Manifestation. «Ein Land kann damit vielleicht einen Entscheid legitimieren – eine rechtliche Grundlage liefert die Resolution nicht.»
Derzeit seien der Schweiz die Hände gebunden, stellt Widmer fest. Sie dürfe die Wiederausfuhr von Waffen aus eigener Produktion nicht erlauben, weil es das Kriegsmaterialgesetz verbietet.
Argument zählt für Roth nicht
Um eine bessere Lösung für die Zukunft aufzugleisen, müsse das Parlament die Nichtwiederausfuhrklausel streichen, sagt Widmer. «Was die Waffenabnehmer der Schweiz später mit den Waffen tun, die sie in Friedenszeiten erworben haben, liegt in deren Verantwortung.»
Für die Sozialdemokratin Roth zählt das rechtliche Argument im Falle des Angriffs Russlands auf die Ukraine allerdings nicht: «Da das Haager Abkommen über das Neutralitätsrecht Wiederausfuhren nicht regelt, verbietet es diese auch nicht.» Deshalb müsse die Resolution der Generalversammlung auch keineswegs rechtlich verbindlich sein. «Es geht nicht darum, das Neutralitätsrecht mit einem Uno-Beschluss zu übersteuern.» Nato-Generalsekretär Stoltenberg habe mehrfach betont, dass die Neutralität nicht das Problem sei, sagt Roth: «Eine Wiederausfuhr wäre völkerrechtlich absolut korrekt.»