Tarifzoff wird ein Fall für die Gerichte
Spitäler legen sich mit Bundesrat an

Mit der Kürzung der Laborpreise um 140 Millionen wollte der Bundesrat die Kostenexplosion im Gesundheitswesen dämpfen. Doch der Spitalverband will diesen Entscheid vor Gericht kippen.
Publiziert: 14.01.2024 um 12:41 Uhr
|
Aktualisiert: 14.01.2024 um 14:10 Uhr
1/5
Arbeit mit Corona-Proben im Zürcher Spital Triemli: Durch die Covid-Pandemie ist die Arbeit der Labors in den Fokus gerückt.
Foto: Keystone
RMS_Portrait_AUTOR_449.JPG
Lino SchaerenRedaktor

Der Spitalverband H+ will im Zoff um Laborpreise vor Gericht ziehen. Streitpunkt ist die Senkung der Tarife für Laboranalysen, die der Bundesrat im Sommer 2022 angeordnet hat.

Es war ein seltener Erfolg für Gesundheitsminister Alain Berset (51), der sich in seiner Amtszeit beim Versuch, das Kostenwachstum im Gesundheitssystem zu bremsen, die Zähne ausgebissen hatte: Die Krankenkassen – und damit die Prämienzahlenden – sparen damit jährlich rund 140 Millionen Franken.

Die Spitäler jedoch halten die Kürzung für willkürlich und widerrechtlich und wollen sie anderthalb Jahre nach der Einführung rückgängig machen.

Rückblende: Im Frühjahr 2022 kritisierte Preisüberwacher Stefan Meierhans (55) die hohen Labortarife in der Schweiz scharf. Ein Vergleich mit dem Ausland zeige, dass zugunsten der Prämienzahlenden eine Milliarde Franken gespart werden könnte. Die Tarife wurden zuletzt 2009 angepasst und sind angesichts der Automatisierung veraltet. Seit 2020 arbeitet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) daran, die Preise neu zu berechnen. Resultate werden frühestens 2025 vorliegen – zu spät für Preisüberwacher, Krankenversicherer und Parlament: Ihrer Forderung nach einer raschen Übergangslösung kam der Bundesrat mit einer linearen Tarifkürzung um zehn Prozent nach.

Meierhans bezeichnete dies als «bestenfalls eine homöopathisch dosierte Tarifsenkung». Privatlabors und Spitäler protestierten lauthals. Den Auslandsvergleich des Preisüberwachers kritisierten sie als irreführend und die Preissenkung mittels Übergangstarif als politische Massnahme. Gegen eine bundesrätliche Verordnung kann aber kein Rechtsmittel ergriffen werden. Um die Tarifsenkung gerichtlich prüfen zu lassen, müssen die Leistungserbringer deshalb anhand einer konkreten Abrechnung gegen einen Krankenversicherer vor Gericht ziehen.

Der Verband der medizinischen Laboratorien der Schweiz (FAMH) gibt an, diese Möglichkeit geprüft und verworfen zu haben – auch, um den laufenden Prozess der Berechnung der Tarife beim BAG nicht weiter zu torpedieren.

Immer mehr Spitäler schreiben rote Zahlen

Für den Angriff entschieden hat sich dagegen H+. Federführend ist Kristian Schneider (52), Direktor des Spitalzentrums Biel und Vizepräsident des Schweizer Spitalverbandes. H+ finanziert den Musterprozess, den das Bieler Spital führen soll. Schneider sagt, es gehe dabei nicht primär um den Labortarif, sondern um die Art und Weise, wie Tarife «ohne sachliche Argumentation vom Bundesrat festgelegt» würden. H+ wirft der Landesregierung vor, die Leistungserbringer mit der linearen Kürzung ungleich zu behandeln: Sie gelte seit August 2022 nur für Privatlabors und Spitäler, nicht aber für Hausarztpraxen. «Die Spitäler werden gezielt schlechtergestellt, diese selektive Preisbestimmung ist ein Novum, das wir nicht zulassen können», sagt Schneider.

Dass H+ gerade jetzt ein Zeichen setzen will, ist kein Zufall. 2024 stellt die Politik wichtige Weichen in der Diskussion um die Finanzierung des Schweizer Gesundheitssystems.

Die Herausforderungen für Elisabeth Baume-Schneider (60) sind gross. Die Jurassierin, Nachfolgerin von Berset an der Spitze des Gesundheitsministeriums, muss beim elektronischen Patientendossier vorwärtsmachen, die Pflege-Initiative umsetzen, einen neuen Arzttarif einführen, den Medikamentenmangel beheben und den stationären Spitalbetrieb mit der Einführung von Benchmarks auf Wirtschaftlichkeit trimmen. Auch mit der Umsetzung der einheitlichen Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen wartet ein Riesenprojekt auf sie.

Die Krankenversicherer haben in Zeiten stark steigender Prämien klare Vorstellungen, wie die Kostenexplosion gedämpft werden kann: Nebst tieferen Labortarifen fordert der Kassenverband Santésuisse Einsparungen bei den Medikamenten und klare Effizienzkriterien für Spitaltarife.

Die Leistungserbringer ihrerseits klagen, die Tarife deckten bereits heute die Kosten nicht mehr, immer mehr Spitäler schreiben rote Zahlen, die Warnungen vor einem Kollaps des Gesundheitssystems werden lauter. Besonders im ambulanten Bereich seien die Tarife 30 Prozent zu tief, sagte H+-Direktorin Anne-Geneviève Bütikofer (51) kürzlich im Blick. Die umstrittenen Laborpreise sind hier bisher die Ausnahme: Mit ihnen verdienen die Spitäler noch gutes Geld.

«
«Spitäler werden gezielt schlechtergestellt»
Kristian Schneider, H+-Vizepräsident
»

Spitaldirektor Schneider bestreitet das nicht. Die Gewinne seien aber für die Finanzierung anderer Bereiche dringend nötig. In Biel BE fehlten seit der Senkung der Laborpreise jährlich 200'000 Franken, die bisher in die unterfinanzierte Kinderklinik oder die Logopädie geflossen seien: «Mit tieferen Laborpreisen wird die Unterfinanzierung insgesamt verschärft und auf einen bisher rentablen Bereich ausgeweitet.» Schneider fordert, dass mit dem BAG über Preisverschiebungen statt Kürzungen gesprochen werde.

Krankenkassen könnten Rückforderungen in Millionenhöhe treffen

Gegen die tieferen Laborpreise muss er jetzt den Musterprozess lancieren. Dafür stellt das Spital Laboranalysen nach den alten Tarifen in Rechnung – in der Absicht, dass die Krankenkasse die Kalkulation zurückweist und dies dann juristisch angefochten werden kann.

In einem ersten Versuch ist Schneider damit gescheitert: Die beim Berner Krankenversicherer Visana nach alten Ansätzen digital in Rechnung gestellten Analysen seien ohne Beanstandung bezahlt worden, sagt der Spitaldirektor.

Visana bestreitet dies auf Anfrage: «Wir hatten bis heute keinen Grund, Rechnungen des Spitalzentrums Biel zurückzuweisen.» Laut Schneider werden jetzt noch einmal zu hohe Rechnungen gestellt – diesmal per Einschreiben.

Sollten die Spitäler im Rechtsstreit um die Tarifsenkung des Bundesrats letztlich recht bekommen, könnten die Krankenkassen mit Rückforderungen von mehreren Hundert Millionen Franken konfrontiert werden.

Letztmals juristisch gegen eine bundesrätliche Verordnung angetreten sind die Spitäler 2014, als der Bundesrat in den Streit um den Ärztetarif Tarmed eingegriffen hat. Eine Luzerner Klinik führte einen Musterprozess gegen einen Krankenversicherer, um die Preisanpassung zu kippen – allerdings ohne Erfolg.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?