Die Schweiz hortet russische Vermögen im Umfang von mindestens 200 Milliarden Franken. Im Zuge der Sanktionen gegen Putins Regime hat der Bund 7,5 Milliarden gesperrt. 1368 Russen sind betroffen.
Das macht 5,5 Millionen Franken pro Kopf – in den Augen von Kritikern eine bescheidene Summe, angesichts von sanktionierten Multimilliardären wie Alischer Usmanow (69) oder Andrei Melnitschenko (50). Merkwürdig auch: Seit bald einem Jahr hat sich der gesperrte Gesamtbetrag nicht verändert. Wie kommt das?
Die 7,5 Milliarden liegen mehrheitlich auf Konten der Schweizer Grossbanken. Die meldeten dem Bund russische Vermögen unmittelbar nach Kriegsausbruch, weil ihnen im Unterlassungsfall massive Konsequenzen drohen.
Schweizer helfen beim Verstecken
Bloss: Das Geld von Oligarchen steckt vor allem in Privatbanken, Firmenbeteiligungen, Immobilien, Privatjets und Yachten. Hier meldet niemand irgendwelche Zahlen an den Bund. Und Usmanow und Co. versuchen, die Besitzverhältnisse mit diversen Tricks zu verschleiern; Schweizer Anwälte und Treuhänder helfen dabei.
«Dabei sind Bank- und Firmendaten und deren Austausch mit ausländischen Behörden bei der Umsetzung von Sanktionen zentral», sagt Oliver Classen (56) von der NGO Public Eye. «Doch die Schweizer Behörden sind nicht daran interessiert. Deshalb braucht es eine nationale Taskforce, die aktiv nach versteckten Vermögen sucht.»
Das fordert auch der Nationalrat. Im Dezember nahm er eine entsprechende Motion seiner Wirtschaftskommission an, während der Bundesrat das Begehren ablehnt. Am nächsten Dienstag beschäftigt sich die Rechtskommission des Ständerats mit dem Thema. In der Frühlingssession entscheidet die kleine Kammer, ob es tatsächlich zu einer Taskforce kommt.
«Wir brauchen diese Taskforce unbedingt», sagt Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone (35), Mitglied der Rechtskommission. Die USA und die EU haben längst vergleichbare Spähtrupps installiert. Auch eine internationale Taskforce ist aktiv. «Die Schweiz steht aussen vor», sagt Mazzone. «Das schadet unserer Glaubwürdigkeit.»
Die FDP will keine Taskforce
FDP-Ständerat Andrea Caroni (42), ebenfalls Mitglied der Rechtskommission, widerspricht: «Ich sehe den Mehrwert einer Taskforce bislang nicht. Diejenigen, die sie fordern, müssten zuerst genauer darlegen, welche Lücken damit konkret geschlossen werden könnten.»
Auch SP-Ständerat Carlo Sommaruga (63) hat eine Taskforce-Motion lanciert – mit einem pikanten Zusatz: Die sichergestellten Gelder seien nicht nur zu sperren, sondern «gegebenenfalls zu konfiszieren».
In den USA wird rege über die Enteignung von Oligarchen diskutiert. Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (64) will Russengelder zugunsten der überfallenen Ukraine einziehen.
Die ukrainische Regierung fordert dies bereits seit Monaten – auch von der Schweiz. Bundesrat Ignazio Cassis (61) am diesjährigen WEF in Davos GR: «Ausgeschlossen ist es nicht.»
Eine Arbeitsgruppe des Bundes prüft nun die juristischen Möglichkeiten.
Bei SVP-Nationalrat Franz Grüter (59) läuten da sämtliche Alarmglocken: «Enteignungen aufgrund der Staatsangehörigkeit widersprechen dem Rechtsstaat.» Der Präsident der Aussenpolitischen Kommission verweist auf die Eigentumsgarantie: «Sie ist in der Bundesverfassung festgeschrieben. Das heisst, dass das Volk das letzte Wort hat.»
Wird an der Urne entschieden?
Damit steht ein Referendum im Raum. Nur: Wie würde es ausgehen? «Die Eigentumsgarantie ist hierzulande fest verankert», betont Grüter. «Konfiskationen sind ein Verfassungsbruch. Dem stimmt das Volk nicht zu. Denn das wäre eine klare Sippenhaft.» Zumal es am Ende um mehr als lediglich 7,5 Milliarden gehe. Grüter erinnert an ein Treffen von Ignazio Cassis mit dem polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki (54) im letzten März, an dem auch der SVP-Aussenpolitiker teilnahm. Morawiecki habe auf die 200 Milliarden Franken schweren russischen Vermögen in der Schweiz hingewiesen und Cassis unverblümt ermahnt: «Die müsst ihr einziehen und der Ukraine geben.»
Für Grüter ist klar: «Jetzt sprechen wir über 7,5 Milliarden. Aber der Druck aus dem Ausland ist enorm. Am Ende geht es um 200 Milliarden.»
Offen bleibt auch die Frage, was überhaupt ein Oligarch ist. Ein reicher Russe mit einer Nähe zu Putin? «Es gibt keine eindeutige Definition», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Dimitrios Karathanassis (40). «Klar ist aber, dass es nicht um eine Handlung, sondern um einen Status geht. Denn es spielt offenbar keine Rolle, ob den Sanktionierten eine konkrete Tat wie etwa die direkte Unterstützung von Putins Regime nachgewiesen werden kann.»
Selbstverständlich solle die Schweiz niemanden schonen, der sich nachweislich schuldig gemacht habe, sagt Karathanassis. «Sie soll aber auch niemanden bestrafen, dem sie keine kriminellen Handlungen nachweisen kann.» Schon die Sperrung russischer Vermögen auf Verdacht sei heikel. «Doch eine Einziehung verstösst gegen alle Prinzipien des Rechtsstaates.»
Es soll beim Drohen bleiben
Auch Andrea Caroni ist gegen Konfiskationen privater russischer Gelder. Vermögenssperren hätten primär zum Ziel, Druck auf den russischen Staat auszuüben, sich ans Völkerrecht zu halten. «Sie sind gewissermassen Daumenschrauben», sagt der FDP-Politiker. «Eine Konfiskation privater Vermögen aber entspräche dem Daumen-Abhauen. Das geht rechtsstaatlich nicht und würde auch das Ziel verfehlen.»
Der Nationalrat hat den Taskforce-Vorstoss der Wirtschaftskommission zwar angenommen. SVP und FDP allerdings stimmten dagegen. Im Ständerat stellen beide Parteien 19 Mitglieder. Hinzu kommt eine Reihe konservativer Mitte-Politiker. Die Forderung nach einem Spähtrupp dürfte es in der kleinen Kammer also schwer haben.
Noch geringer sind wohl die Chancen der Motion von Carlo Sommaruga – weil er das Wort «konfiszieren» benutzt.