Unternehmer und alt SVP-Nationalrat Peter Spuhler (61) ist gut gelaunt. Soeben hat er FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter (56) durch das neue Stadler-Werk in St. Margrethen SG geführt, wo Züge und Trams gefertigt werden. Bevor es mit der Bundesrätin zum Mittagessen geht, nimmt sich Spuhler Zeit für ein Interview mit BLICK. Auch seinen Sohn Lucas (29) nimmt er mit. «Dann kannst du gleich etwas lernen», sagt er lachend zu ihm.
BLICK: Herr Spuhler, Sie haben auf dem Rundgang Ihren Sohn herzlich umarmt. Hat der stolze Vater bereits seine Nachfolge vorgestellt?
Peter Spuhler: Ich bin sehr stolz auf alle meine drei Kinder und es freut mich, dass der älteste Sohn nun seit vier Jahren bei Stadler arbeitet. Ob er jemals mein Nach-Nach-Nachfolger werden wird, steht in den Sternen. Lucas muss sich seinen Weg selbst erarbeiten.
Eine ganz andere Frage: Sind Sie ein Egoist?
Warum sollte ich ein Egoist sein?
Christoph Blocher macht Ihnen diesen Vorwurf, weil Sie sich gegen die Begrenzungs-Initiative engagieren. Sie würden nur auf den momentanen Vorteil achten statt auf das Wohl des Landes.
Das verneine ich vehement! Nach dem EWR-Nein 1992 hat ja die SVP selbst den bilateralen Weg propagiert. Als Nationalrat und exportorientierter Unternehmer habe ich diesen immer als Königsweg verteidigt, schliesslich brauchen wir Rechtssicherheit mit dem grössten Handelspartner. Jeder in der Partei wusste das, und ich bin konsequent und glaubwürdig geblieben. Schliesslich bin ich kein Wendehals.
Mittlerweile fahren Sie damit Ihrer Partei aber an den Karren.
Die SVP ist eine breit aufgestellte Volkspartei, da darf es auch mal eine abweichende Meinung geben. Das muss die SVP ertragen – und auch Herr Blocher, den ich als Unternehmer und Politiker sehr schätzen gelernt habe.
Für die SVP ist es die Begrenzungs-Initiative, weil sie die Zuwanderung begrenzen soll. Die Gegner sprechen von der Kündigungs-Initiative, weil die SVP als letztes Mittel die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU verlangt.
Konkret steht im Initiativtext:
• Die Schweiz regelt die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.
• Es dürfen keine neuen Abkommen abgeschlossen oder Verpflichtungen eingegangen werden, die Ausländern eine Personenfreizügigkeit gewähren.
• Bestehende Verträge oder Verpflichtungen dürfen nicht dahingehend angepasst werden, dass sie eine Personenfreizügigkeit erlauben.
Für die SVP ist es die Begrenzungs-Initiative, weil sie die Zuwanderung begrenzen soll. Die Gegner sprechen von der Kündigungs-Initiative, weil die SVP als letztes Mittel die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU verlangt.
Konkret steht im Initiativtext:
• Die Schweiz regelt die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.
• Es dürfen keine neuen Abkommen abgeschlossen oder Verpflichtungen eingegangen werden, die Ausländern eine Personenfreizügigkeit gewähren.
• Bestehende Verträge oder Verpflichtungen dürfen nicht dahingehend angepasst werden, dass sie eine Personenfreizügigkeit erlauben.
2014 haben die Befürworter des bilateralen Wegs die Masseneinwanderungs-Initiative massiv unterschätzt. Stehen Sie nun an der Front, damit sich der SVP-Coup nicht wiederholt?
Die Masseneinwanderungs-Initiative war harmloser als die Kündigungs-Initiative. Wenn nun innerhalb eines Jahres keine Verhandlungslösung gefunden wird, müssen die Bilateralen Verträge I gekündigt werden. Die EU wird bei einem ihrer wichtigsten Pfeiler wie der Personenfreizügigkeit nicht nachgeben. Kommt die Initiative durch, ist die Kündigung der Bilateralen I nicht mehr zu verhindern.
Ach was, die Schweiz muss halt gut verhandeln!
Dafür ist die Frist zu kurz! Und schauen Sie nach Grossbritannien: Die Briten haben auch geglaubt, sie würden nach dem EU-Austritt mit einem Supervertrag nach Hause kommen. Das Einzige, was sie nun haben, ist Rechtsunsicherheit. Die Schweiz wird ebenso wenig bessere Verträge erhalten, sondern massiv unter die Räder kommen. Gerade in Zeiten von Corona und starkem Franken darf sich die Schweizer Wirtschaft nicht noch einen weiteren Mühlstein um den Hals hängen.
Welchen der sieben Teilverträge würden Sie am meisten vermissen?
Für die Schweizer Wirtschaft ist das ganze Paket entscheidend. Für die Industrie sind die Verträge über die technischen Handelshemmnisse oder die Personenfreizügigkeit besonders wichtig. Wir sind froh, dass wir unsere Spezialisten, die wir in der Schweiz nicht finden, ohne bürokratischen Hürdenlauf in der EU rekrutieren können.
Sie bekommen doch auch mit einem Kontingentsystem genügend Leute.
Das Kontingentsystem ist reine Bürokratie – die Regierung würde die Quoten festlegen, was reine Planwirtschaft ist. Und es ist unfair: Die Grossindustrie wurde damals bei den Kontingenten bevorzugt, die KMU mussten hintenanstehen. Das habe ich als Unternehmer selbst noch erlebt. Und vergessen Sie nicht: Damals hatten wir eine höhere Zuwanderung aus der EU als heute!
Trotzdem: Im heutigen System bemüht sich doch kein Unternehmer um Inländer, wenn er in der EU freie Wahl hat.
Wir selbst suchen primär in der Schweiz Arbeitskräfte! Aber beispielsweise im Ingenieurwesen haben wir einen Riesenbedarf an Spezialisten, den wir mit Inländern allein nicht decken können. Dürfen wir keine Ingenieure mehr in die Schweiz holen, müssten wir Bereiche ins Ausland verlagern.
Sie drohen?
Das ist keine Drohung, sondern eine Feststellung. Wir haben bereits einen Teil des Ingenieurwesens nach Ostdeutschland verlagern müssen.
Mehr zur Begrenzungs-Initiative
Und doch sind in den letzten 13 Jahren über eine Million Zuwanderer in die Schweiz gekommen. Stört Sie das nicht?
Ich kenne die Zahlen seit 2009. Was diese Million betrifft, muss man eines klarstellen: Mit rund 470'000 Personen kommt nicht einmal die Hälfte aus dem EU-Raum. Gut ein Viertel kommt aus Drittstaaten via Kontingente und der Rest stammt aus dem Asylbereich. Und es stellen sich weitere Fragen.
Nämlich?
Was passiert mit den rund 470'000 Schweizern, die in EU-Staaten leben? Was ist mit den Grenzgängern? Hier am Standort St. Margrethen beschäftigen wir über 20 Prozent Grenzgänger aus Vorarlberg. Die Initiative lässt offen, was mit ihnen passiert.
Wir steuern auf eine Zehn-Millionen-Schweiz zu. Macht Ihnen das keine Angst?
Nein. Stoppen wir die Zuwanderung, stoppen wir die Wirtschaft. Das führt zu einem Wohlstandsverlust. Sie dürfen zudem nicht vergessen, dass das Bevölkerungswachstum nicht nur mit der Zuwanderung zusammenhängt, sondern auch damit, dass die Bevölkerung deutlich älter wird als noch vor 13 Jahren.
In der Corona-Krise ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Müsste man die Zuwanderung nicht schon deswegen drosseln?
Vor der Corona-Krise hatten wir in der Schweiz trotz Zuwanderung eine sehr tiefe Arbeitslosigkeit. Wenn die Krise vorbei ist – ich hoffe, bald –, wird die Arbeitslosigkeit wieder sinken.
Was sagen Sie einem älteren Arbeitnehmer, der durch einen jüngeren Zuwanderer ersetzt wird?
Bei den über 55-Jährigen hat die Erwerbstätigkeit in den letzten zehn Jahren stark zugenommen! Es hat keinen Abbau, sondern einen starken Anstieg auf 73 Prozent gegeben, das ist im internationalen Vergleich ein absoluter Spitzenwert. Auch wir stellen selbstverständlich Ältere ein.
Dann braucht es auch die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose nicht, gegen welche SVP-Kreise das Referendum ergriffen haben?
Ich bin gegen die Überbrückungsrente, weil sie die Älteren stigmatisiert und diskriminiert. Ich befürchte, damit steigt das Risiko sogar, dass ältere Angestellte entlassen werden. Leider gibt es bei den Unternehmern auch schwarze Schafe, die die Gelegenheit nutzen würden, Ältere so abzuschieben.
Wegen der Corona-Krise sind auch weniger ÖV-Passagiere unterwegs. Werden Sie wegen Homeoffice künftig weniger Züge verkaufen?
Das ist schwierig abzuschätzen. Homeoffice wird in Dienstleistungsbranchen wie Banken oder Versicherungen einen gewissen Einfluss haben, doch der direkte Austausch und die sozialen Kontakte in den Firmen bleiben wichtig. Ich glaube daher nicht, dass sich Homeoffice flächendeckend verbreiten wird, speziell nicht beim Werkplatz.
Die Umfragen sagen ein Nein zur Begrenzungs-Initiative voraus. Danach geht das Hickhack um das Rahmenabkommen mit der EU wieder los. Die Wirtschaft will den Deal. Sie auch?
Ein Rahmenabkommen ist per se nicht falsch, damit Gesetze in geregelter Form über die Jahre angepasst werden können. Zum vorliegenden Abkommen sage ich aber klar Nein. Allerdings nicht allein wegen der drei offenen Punkte beim Lohnschutz, der Unionsbürgerrichtlinie oder der staatlichen Beihilfen.
Sondern?
Für mich kommt das jetzige Abkommen nicht in Frage, weil die Entscheidungsgewalt im Schiedsgerichtsverfahren am Schluss allein dem Europäischen Gerichtshof obliegt. Damit würden wir uns unterjochen. Die Schweiz kann zwar ein Urteil nicht anerkennen, die EU hat dann aber die Möglichkeit, adäquate Retorsionsmassnahmen gegen die Schweiz zu beschliessen. Das kann ja wohl nicht sein. Nach meiner Meinung wird dieses Rahmenabkommen in der heutigen Fassung keine Mehrheit im Volk finden.
Damit sind Sie zurück auf SVP-Linie. Eine gute Basis, um ein politisches Comeback zu lancieren!
Ich bin ja in den meisten Fragen auf SVP-Linie – ausser bei den bilateralen Verträgen, denn damit haben wir die notwendige Rechtssicherheit. Ich gebe zu, als ich 2012 wegen der Währungsverwerfungen als Nationalrat zurücktrat, war das kein einfacher Schritt. Ich habe gerne politisiert, und es fehlt mir manchmal auch. Trotzdem wird es kein Comeback geben. Meine politische Karriere ist definitiv abgeschlossen.
Als Peter Spuhler 1989 die Stadler Fahrzeuge AG übernahm, war das Unternehmen ein typisches KMU mit gerade mal 18 Mitarbeitern. Heute beschäftigt die Stadler Rail Group weltweit rund 12'000 Mitarbeitende, davon gut 4500 in der Schweiz. Von 1999 bis 2012 politisierte der heute 61-jährige Spuhler als Vertreter der Thurgauer SVP im Nationalrat, wo er den bilateralen Weg stets verteidigte. Während der Eurokrise gab er seinen Abschied aus der Politik. Spuhler ist in zweiter Ehe mit der Unternehmerin Daniela Spuhler-Hoffmann (43) verheiratet und Vater von drei Kindern.
Als Peter Spuhler 1989 die Stadler Fahrzeuge AG übernahm, war das Unternehmen ein typisches KMU mit gerade mal 18 Mitarbeitern. Heute beschäftigt die Stadler Rail Group weltweit rund 12'000 Mitarbeitende, davon gut 4500 in der Schweiz. Von 1999 bis 2012 politisierte der heute 61-jährige Spuhler als Vertreter der Thurgauer SVP im Nationalrat, wo er den bilateralen Weg stets verteidigte. Während der Eurokrise gab er seinen Abschied aus der Politik. Spuhler ist in zweiter Ehe mit der Unternehmerin Daniela Spuhler-Hoffmann (43) verheiratet und Vater von drei Kindern.
Ein grosses Thema ausserhalb der EU-Debatte ist die Demokratiebewegung in Weissrussland. Sie haben ein Werk in Minsk. Warum geschäften Sie mit dem «letzten Diktator Europas»?
Wir wollten ein Werk in einem der Staaten der ehemaligen Sowjetunion, um die grossen Eisenbahnmärkte mit ihrem riesigen Nachholbedarf abzudecken. In Weissrussland waren wir von Anfang an begeistert von den gut ausgebildeten Mitarbeitenden auf allen Stufen. Schliesslich bauen wir ein Produkt für die Bevölkerung und nicht für die politische Elite. Das Land ist bis jetzt politisch voll anerkannt und unterliegt bis heute keinen Sanktionen. Es gibt für mich daher als Unternehmer keinen Grund, nicht in Weissrussland zu produzieren.
Sie stützen damit indirekt das autokratische Regime.
Dann müsste sich die ganze Schweizer Industrie auch aus China und Russland zurückziehen. Oder aus den USA, die derzeit mit ihren bürgerkriegsähnlichen Turbulenzen auch nicht gerade das Musterbeispiel einer liberalen Demokratie abgeben. Es liegt doch nicht an einem mittelständischen Unternehmer zu entscheiden, ob Sanktionen nötig und berechtigt sind. Dafür gibt es Organisationen wie OSZE, EU oder Uno. Erlassen diese Sanktionen, halten wir uns selbstverständlich daran.
Wie sieht die Situation in Ihrem Werk vor Ort aus? Wird gestreikt?
Wir haben 1500 Mitarbeiter in unserem Werk ausserhalb von Minsk. Sie haben bisher ganz normal weitergearbeitet, ohne Streiks. Wer in seiner Freizeit an den Kundgebungen teilnehmen will, darf das auch. Einige unserer Mitarbeiter wurden deswegen auch schon verhaftet. Wir haben uns in diesen Fällen immer für eine rasche Freilassung eingesetzt. Das Wohl unserer Mitarbeiter steht natürlich im Zentrum. Derzeit ist meines Wissens keiner unserer Mitarbeiter mehr in Haft. Ich hoffe, dass die innenpolitischen Turbulenzen möglichst unblutig gelöst werden können.
Was würden Sie unternehmen, wenn in Ihrem Werk gestreikt würde?
Wir können einen Streik nicht verbieten. Wir würden ihn aber auch nicht befürworten. Bisher hat sich die Frage zum Glück nicht gestellt, und das wird hoffentlich auch so bleiben.
Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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