Am Freitag gilt es für Ignazio Cassis (62) wohl ernst: Der Bundesrat dürfte das Verhandlungsmandat mit der Europäischen Union (EU) verabschieden – und veröffentlichen. Nachdem der Bundesrat im Mai 2021 das Rahmenabkommen versenkt hat, liefen Sondierungen mit der EU für einen zweiten Anlauf.
Schon einen Tag vorher stellte die SP Forderungen auf. Co-Präsident Cédric Wermuth (37) gab sich enttäuscht über die «kleinkarierten, ambitions- und perspektivlosen» Eckwerte des Mandats, die bisher bekannt sind. «Wir hätten uns einen mutigeren Ansatz gewünscht.» Die Partei fordert deshalb Präzisierungen und Ergänzungen des Mandats, zum Beispiel beim Lohnschutz, bei der Bahn oder bei einem allfälligen Stromabkommen.
Die wichtigsten Fragen und Antworten
Warnung vor «neoliberalen Rosinenpickerei»
Wermuth warnt den Bundesrat vor einer «neoliberalen Rosinenpickerei». Die Europapolitik dürfe nicht für einen Angriff auf den Lohnschutz genutzt werden. Man komme dem Bundesrat aber entgegen, indem man auf den «Grundsatz der Dynamisierung» einsteige. Man sei aber weit weg von «sozialdemokratischen Maximalforderungen», sagte Wermuth.
Jedoch verlangt die SP zum Beispiel ein Paket, damit die flankierenden Massnahmen selbst dann aufrechterhalten werden könnten, wenn sie vom Schiedsgericht als unverhältnismässig eingestuft würden.
Wie viel Macht bekommt das EU-Gericht?
Die Grundlagen der neuen Beziehungen sind bereits klar: Statt eines Rahmens um die bestehenden Verträge hat der Bundesrat vorgeschlagen, die strittigen Fragen in jedem Abkommen einzeln zu lösen.
Dabei geht es unter anderem darum, wie viel Macht der Europäische Gerichtshof bekommt. Aber auch Fragen, was passiert, wenn die EU das Recht anpasst und was für neue Abkommen gilt. Ein solches soll es unter anderem beim Strommarkt geben. Es soll sicherstellen, dass die Schweiz in Mangellagen Strom von den Nachbarländern erhält.
Mehr zur EU
Vor der entscheidenden Phase ist die Lage verzwickt: Während sich die SVP grundsätzlich gegen die zwingende Übernahme von EU-Recht und eine Streitbeilegung durch den EU-Gerichtshof stellt, sorgen sich die Gewerkschaften um den Lohnschutz. Letztere haben bereits Druck auf den Bundesrat ausgeübt – just einen Tag bevor der Bundesrat bekannt gab, ein Verhandlungsmandat erarbeiten zu wollen.
SVP und die Linke haben die Kraft, das EU-Abkommen zu bodigen. Weil die SVP wohl kaum zu Kompromissen bereit ist, entscheidet die Position der SP und der Gewerkschaften.