Auf einen Blick
- Mindestlohn-Initiativen in Solothurn und Baselland: Abstimmung am 9. Februar
- Gewerkschaften setzen auf kantonale Mindestlöhne nach nationaler Ablehnung 2014
- Fünf Kantone haben bisher gesetzliche Mindestlöhne eingeführt
Es war eine deftige Schlappe, die Linke und Gewerkschaften 2014 einstecken mussten: Mit 76 Prozent Nein versenkte das Stimmvolk damals einen nationalen Mindestlohn von 4000 Franken monatlich. Seither hat sich die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung verändert. Jahr für Jahr müssen höhere Krankenkassenprämien geschultert werden, vielerorts sind die Mietkosten explodiert. Und während die Teuerung in den letzten Jahren gestiegen ist, hinkt die Lohnentwicklung hinterher.
Linke und Gewerkschaften haben mittlerweile auch ihre Strategie geändert und setzen auf kantonale Mindestlöhne. Mit Erfolg: In fünf Kantonen – Tessin, Genf, Jura, Neuenburg und Basel-Stadt – hat das Stimmvolk entsprechende Volksinitiativen angenommen, auch in den Städten Zürich, Winterthur und Luzern kamen lokale Mindestlöhne durch. In mehreren Kantonen und Städten sind Volksinitiativen hängig.
Der Fokus richtet sich nun aber auf die Kantone Solothurn und Baselland. In beiden kommt am 9. Februar eine Mindestlohn-Initiative vors Volk. 23 Franken Stundenlohn fordern die Initianten in Solothurn, 22 Franken im Baselbiet. Sagt das Stimmvolk hierzu Ja, wäre erstmals der Durchbruch in einem Deutschschweizer Durchschnittskanton geschafft – also in einem urban-ländlich gemischten Gebiet. Mit Signalwirkung in die ganze Deutschschweiz. Kein Wunder also verfolgen Wirtschaftsverbände wie auch Gewerkschaften die Entscheide mit Argusaugen.
Gewerbepräsident macht sich Sorgen
«Ich schaue mit einer gewissen Sorge in die beiden Kantone», sagt Gewerbeverbands-Präsident und Mitte-Ständerat Fabio Regazzi (62) zu Blick. «Ein Ja könnte einen Dominoeffekt auf weitere Kantone haben, in denen entsprechende Volksbegehren hängig sind oder neue Initiativen gestartet werden könnten», befürchtet er. «Mit einer solchen Salamitaktik versuchen die Gewerkschaften doch noch schweizweit einen Mindestlohn zu verankern – quasi durch die Hintertür.»
In Solothurn wie Baselland warnen die Mindestlohn-Gegner vor einer Gefährdung von Arbeitsplätzen. Regazzi führt seine Erfahrungen aus dem Tessin ins Feld: «Der Mindestlohn verfehlt sein Ziel. Anstelle der einheimischen Bevölkerung profitieren bei uns grossmehrheitlich Grenzgänger – de facto fast 75 Prozent – vom Mindestlohn.» Mit den tieferen Lebenshaltungskosten in ihrer Heimat und dem Franken-Euro-Kurswechsel der letzten Jahre würden diese zusätzlich profitieren.
Die Chancen für einheimische Nicht-Qualifizierte oder Junge würden auf dem Arbeitsmarkt zudem sinken. «Die Firmen bekommen für den Mindestlohn auch ausgebildete Grenzgänger», so Regazzi.
Dem Gewerbeboss betont zudem die Sozialpartnerschaft. Mindestlöhne müssten gemeinsam von Arbeitgebern und Gewerkschaften verhandelt und je nach Branche massgeschneidert angewendet werden, so Regazzi. «Mit einem staatlichen Mindestlohn wird die Sozialpartnerschaft geschwächt – damit könnte man provokativ die Frage stellen, ob die Gewerkschaften überhaupt noch nötig sind.»
Gewerkschafter will höhere Löhne
Für die Mindestlohn-Befürworter hingegen stehen faire Löhne für alle im Vordergrund, auch als sozialpolitische Massnahme zur Armutsbekämpfung. «Viele Tausend Arbeitnehmende haben Löhne, die kaum oder gar nicht zum Leben reichen», sagt Daniel Lampart (56), Chefökonom beim Gewerkschaftsbund. Betroffen davon seien vor allem Dienstleistungsberufen wie etwa Pflege, Gastronomie, Verkauf oder Kurierdienste. «Ein Mindestlohn verbessert die schwierige Lage dieser Menschen.»
Wie Regazzi verwiest auch Lampart auf die bisherigen Erfahrungen aus Mindestlohn-Kantonen, nur kommt der Gewerkschafter zu einem anderen Schluss. «Die Erfahrungen sind durchwegs positiv. In Genf oder Neuenburg hatten viele Leute endlich etwas mehr Geld zum Leben», berichtet er.
Die Angstszenarien der Gegner hingegen seien nicht eingetroffen. Er verweist auf eine Studie des Kantons Genfs, wonach der Mindestlohn kaum Einfluss auf die Arbeitslosenquote hat. «Die Studie zeigt, dass die Arbeitslosigkeit nicht spürbar gestiegen ist», so Lampart.
Parlament will Mindestlöhne kappen
Die Entscheide vom 9. Februar könnten auch auf nationale Ebene für Diskussionsstoff sorgen. Das Bundesparlament will die kantonalen Mindestlöhne nämlich kappen. Zumindest dann, wenn die Sozialpartner in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) tiefere Löhne vereinbaren und der Bundesrat den GAV für allgemeinverbindlich – also obligatorisch für die ganze Branche – erklärt. Der Bundesrat muss nun ein entsprechendes Gesetz vorlegen, obwohl er das Ansinnen ablehnt. Er erachtet einen derart weitreichender Eingriff hinsichtlich Demokratie und Föderalismus als problematisch.
Lampart wehrt sich ebenso gegen die Pläne. «Verschiedene Arbeitgeber wollen die deutlichen Volksentscheide nicht akzeptieren, weil ihnen die höheren Löhne nicht passen», sagt er. «Sie wollen offenbar, dass die Allgemeinheit über Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen die Probleme der Leute mit einem Tieflohn löst. Das ist inakzeptabel.»