SGB-Chefökonom Daniel Lampart kritisiert EU-Rahmenabkommen
«EU-Vertreter lassen ihre eigenen Bürger hängen»

Wie weiter mit dem EU-Rahmenabkommen? «Es ist besser, aus dem Deal auszusteigen», sagt Gewerkschafter Daniel Lampart im Blick-Interview. Die EU wolle den Lohnschutz schwächen, da mache man nicht mit.
Publiziert: 11.05.2021 um 12:38 Uhr
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Aktualisiert: 12.05.2021 um 07:43 Uhr
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Wie weiter mit den Rahmenabkommen? Das Treffen zwischen Bundespräsident Guy Parmelin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im April brachte kein Ergebnis.
Foto: picture alliance / AA
Ruedi Studer

Schon am Mittwoch dürfte das Rahmenabkommen mit der EU einmal mehr Thema im Bundesrat sein. Offen ist allerdings, ob er bereits einen konkreten Entscheid über das weitere Vorgehen fällt. Klar ist: Das Abkommen hat weiterhin einen schweren Stand. Widerstand kommt nicht nur von der SVP, sondern auch von den Gewerkschaften. Letztere wollen beim Lohnschutz keine Abstriche hinnehmen, wie Gewerkschaftsbund-Chefökonom Daniel Lampart (52) im Blick-Interview betont.

Blick: Herr Lampart, die Gewerkschaften stellen sich gegen das Rahmenabkommen und politisieren damit an der Bevölkerung vorbei, wie eine neue Umfrage zeigt.
Daniel Lampart: Seit Beginn der Verhandlungen haben wir eine klare Position: Die Schweiz muss die Löhne eigenständig schützen können. Ein Abkommen, das den Lohnschutz gefährdet, hat auch in der Bevölkerung keine Chance. Die Leute auf der Baustelle oder in der IT-Branche kennen die Realität und wissen, dass sonst Lohndumping droht. Das Resultat der Umfrage ist ein Bekenntnis zum bilateralen Weg, aber sicher nicht zum vorliegenden Abkommen. Die Leute wollen eine Weiterentwicklung, aber nicht auf Kosten der Arbeitnehmenden.

Die EU hat sich doch offen gezeigt für einen Lohnschutz-Kompromiss. Das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» wird explizit betont. Und trotzdem halten Sie dagegen?
Der deutsche Botschafter in der Schweiz hat es neulich klar gesagt: Die flankierenden Massnahmen seien für die Firmen aus den Nachbarländern «ein Ärgernis». Das Wichtigste für ihn ist der Marktzugang für die Firmen. Der Lohnschutz ist zweitrangig. Auch für den Europäischen Gerichtshof kommt zuerst der Marktzugang. Dadurch gerät der Lohnschutz unter Druck. Das sehen wir in anderen EU-Ländern – beispielsweise in Österreich. Gewissen EU-Vertretern sind beispielsweise unsere umfangreichen Kontrollen oder die Bussen in den Gesamtarbeitsverträgen ein Dorn im Auge. Damit lassen sie ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger hängen.

Wie meinen Sie das?
Jedes Jahr kommen rund 400'000 Arbeitnehmende aus der EU neu in die Schweiz. Dank dem Lohnschutz erhalten sie einen Schweizer Lohn und sind froh darüber! Die EU-Vertreter müssten doch die Interessen dieser Arbeitnehmenden schützen und ihre Löhne verteidigen. Stattdessen lassen sie diese im Stich und sorgen sie sich um die Unternehmer an der Grenze, die in der Schweiz ihre Dienste anbieten wollen. Sie vertreten ihre Arbeitnehmenden hierzulande schlecht!

Es ist doch nicht falsch, wenn sich die EU für ihre Firmen einsetzt.
Es zeigt eben, was das Ziel ist. Die ausländischen Firmen verlangen einen einfacheren Marktzugang, weil sie hier mehr Geld verdienen wollen. Das geht nur, wenn sie den Lohnschutz einschränken. Marktzugang ist wichtiger als sozialer Schutz. Das ist für alle Gewerkschaften in Europa eine Grossbaustelle. Da machen wir nicht mit!

Es gibt doch auch Punkte, die den Lohnschutz stärken würden – etwa die Teilnahme der Schweiz an der europäischen Arbeitsbehörde.
Das unterstützen wir. Doch diese Arbeitsbehörde hat bei weitem nicht denselben Stellenwert wie der Europäische Gerichtshof.

Der Bundesrat entscheidet wohl diesen oder nächsten Mittwoch über das weitere Vorgehen. Was erhoffen Sie sich?
Der Bundesrat hat in den letzten Jahren dazu gelernt, was machbar ist und was nicht. Wir müssen unseren Lohnschutz eigenständig regeln können! Deshalb ist das vorliegende Abkommen inakzeptabel. Es ist besser, aus dem Deal auszusteigen.

Damit zerrütten wir das Verhältnis zur EU!
Nein, sicher nicht! Der Bundesrat muss der EU mitteilen, dass er das Abkommen nicht abschliessen kann. Verhandlungen können scheitern. Man kann trotzdem weiterhin gut miteinander auskommen. Es braucht jetzt aber Zeit für neue Ideen.

Das EU-Verhandlungsmandat von Livia Leu
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Rahmenabkommen:Das EU-Verhandlungsmandat von Livia Leu
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