Es ist eine jahrzehntelange Tradition: Vier Mal pro Jahr treffen sich Mitglieder des Bundesrats mit den Spitzen der Bundesratsparteien im Von-Wattenwyl-Haus in der Berner Altstadt, um über aktuelle politische Themen zu diskutieren. Das Ziel der Gespräche: gemeinsam tragfähige Lösungen erarbeiten.
Das wäre aktuell vor allem im EU-Dossier bitter nötig. Allerdings ist nach wie vor unklar, was der Bundesrat überhaupt vorhat: Lässt er das Rahmenabkommen scheitern oder verhandelt er weiter? Bundespräsident Guy Parmelin (61, SVP) und Aussenminister Ignazio Cassis (60, FDP) hätten dazu am Freitag bloss «wirr und neblig» kommuniziert, sagt jemand, der an den Gesprächen teilgenommen hat, die wegen der Corona-Pandemie ausnahmsweise im Finanzdepartement stattfanden. Ein Plan sei nicht ersichtlich geworden.
Bundesrat stehe vor dem Abbruch
Ganz anders äusserten sich vor einigen Tagen Vertreter der Kantonsregierungen, die sich Anfang Woche mit den beiden Bundesräten ausgetauscht hatten. Der Bundesrat bereite ein Scheitern des Abkommens vor, zeigten sich mehrere Quellen gegenüber CH Media überzeugt.
Laut Blick-Informationen erweckte insbesondere Aussenminister Cassis bei den Regierungsräten den Eindruck, dass ein Abbruch der Verhandlungen kurz bevorstehe. Für die Schweiz sei das allerdings nicht tragisch, habe der Freisinnige betont. Schliesslich sei das Land bisher auch ohne Rahmenabkommen gut gefahren. Offen bleibt, ob es Cassis mit den Ankündigungen ernst ist oder ob die pessimistische Haltung zur Verhandlungsstrategie des Bundesrats gehört.
Etwas mehr Klarheit könnte die Regierung nächste Woche schaffen. Dann will sie eine Gesamtevaluation vornehmen und das weitere Vorgehen festlegen. Einfliessen sollen dabei auch die Stellungnahmen der Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments und die Haltung der 26 Kantone.
Grenzkantone für Rahmenabkommen
Diese konnten ihre Stellungnahmen bis am Freitag bei der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) eingeben. Ingesamt neun Kantone haben ihre Position gegenüber Blick bereits offengelegt. Dabei fällt auf: Vor allem Grenzkantone wie Basel-Landschaft, Basel-Stadt oder Genf stehen dem Rahmenvertrag positiv gegenüber. «Uns macht ein Scheitern der Verhandlungen mehr Sorgen, als das, was im Moment auf dem Tisch liegt», sagt etwa der Basler Regierungspräsident Beat Jans (56, SP).
Er sei zuversichtlich, dass der Bundesrat beim Lohnschutz und bei der Unionsbürgerrichtlinie eine Lösung mit der EU finden könne. Hingegen wäre es aus seiner Sicht fatal, wenn der Marktzugang für Schweizer Firmen erodieren und die Schweiz im Kultur- und Forschungsbereich den Anschluss an die EU verlieren würde.
Ähnlich klingt es auch in anderen Kantonen mit starken Wirtschaftszentren. So sagt etwa die Zuger Volkswirtschaftsdirektorin Silvia Thalmann-Gut (59, Die Mitte): «Stabile Verhältnisse zur EU sind für den Wirtschaftsstandort Zug mit seinen vielen international tätigen Firmen zentral.» Sie sei ernüchtert darüber, dass nach einer derart langen Verhandlungszeit keine Einigung zwischen Bern und Brüssel erzielt werden konnte.
Ländliche Kantone kritischer
Kritischer zeigen sich ländlich geprägte Kantone wie Aargau, Bern oder Obwalden. «Wir könnten uns eine Unterzeichnung des Abkommens nur dann vorstellen, wenn in den drei Bereichen Unionsbürgerrichtlinie, Flankierende Massnahmen und staatliche Beihilfen ein substantielles Entgegenkommen seitens der EU feststellbar ist», schreibt etwa die Berner Regierung.
Auch die Obwaldner Regierung sieht bei diesen Punkten noch grosse Differenzen zwischen Bern und Brüssel. Sie erwartet vom Bundesrat nun, dass er eine «Negativspirale» verhindert, «auch wenn eine Unterzeichnung des institutionellen Abkommens derzeit nicht möglich scheint».
Die Meinungen der Kantone gehen also auseinander. Und auch die Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat sind sich uneins: Während die Aussenpolitiker des Nationalrats den Bundesrat vor zwei Wochen aufforderten, weiterzuverhandeln, sehen die Ständeräte auch ein Scheitern des Vertrags als Option. Dem Bundesrat dürfte das die Entscheidung nicht leichter machen.