Aussenminister Ignazio Cassis (61) weilt derzeit in New York bei der Uno. Auf dem Programm steht ein für die Schweiz wichtiges Geschäft: die Schweizer Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Ist es sicher, dass die Schweiz in den Sicherheitsrat gewählt wird?
Ja, weil es nur zwei Kandidaturen für zwei freie Plätze aus unserer Weltregion gibt – die Wahl ist also Formsache. Neben der Schweiz kandidiert auch Malta für die Jahre 2023 und 2024.
Wie wird gewählt?
Die Uno-Vollversammlung wählt am Donnerstag ab 16 Uhr Schweizer Zeit die nicht ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats in einer geheimen Abstimmung jeweils auf zwei Jahre, nötig sind mindestens zwei Drittel der Stimmen.
Wer sitzt im Sicherheitsrat?
Fünf Länder sind ständige Mitglieder: China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und die USA. Sie werden auch als Vetomächte bezeichnet, da jedes einzelne von ihnen einen Beschluss des Sicherheitsrats blockieren kann. Dazu kommen zehn nicht ständige Mitglieder. Noch bis Ende 2023 sind das Albanien, Brasilien, Gabun, Ghana und die Vereinigten Arabischen Emirate. Dazu kommen aktuell Indien, Irland, Kenia, Mexiko und Norwegen, deren Amtszeiten dieses Jahr zu Ende gehen.
Was ist die Aufgabe des Sicherheitsrats?
Der Uno-Sicherheitsrat hat die Verantwortung für nichts Geringeres als den Weltfrieden – so steht es in der UN-Charta. Seine Beschlüsse sind – anders als jene der Vollversammlung – für alle Uno-Mitglieder bindend. Er kann Massnahmen ergreifen, die von wirtschaftlichen Sanktionen bis hin zu militärischen Operationen reichen. Für einen Beschluss braucht es neun der 15 Stimmen. Die Schweiz wird als nicht ständiges Mitglied dabei zwar mitreden und abstimmen können, muss selbst aber keine Truppen für Einsätze der sogenannten Blauhelm-Soldaten stellen.
Wie oft trifft sich der Rat?
Vorgeschrieben ist, dass der Sicherheitsrat mindestens alle zwei Wochen zusammentrifft, in der Praxis tagt er allerdings nahezu täglich, häufig sogar mehrmals.
Ist die Schweiz noch neutral, wenn sie in einem Gremium sitzt, das Kriegseinsätze befehlen kann?
Absolut, argumentiert der Bund. Rein rechtlich spricht die Mitgliedschaft tatsächlich nicht gegen die Neutralität. Politisch ist die Frage aber umstritten. Insbesondere die SVP hat argumentiert, dass die Rolle nicht mit der Neutralität vereinbar ist. Am Donnerstagmorgen demonstrierte die SVP-Fraktion denn auch vor dem Bundeshaus: Jetzt sei die Schweiz «definitiv Kriegspartei.» Die Partei hat mehrfach versucht, die Kandidatur zu kippen, zuletzt unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs in der Frühlingssession. Jedoch ohne Erfolg.
Wieso ist der Sicherheitsrat im Ukraine-Krieg nicht aktiver aufgetreten?
Weil Russland bei Massnahmen gegen sich selbst natürlich das Veto einlegt. So wie der Sicherheitsrat aktuell aufgebaut ist, ist sonnenklar, dass das auch künftig so bleiben wird. Neu ist das Problem nicht. Oft blockieren die Vetomächte auch Beschlüsse, die andere Länder betreffen, in denen sie aber Interessen haben. Die USA haben etwa schon mehrfach Resolutionen gegen Israel gestoppt, China wiederum bockte bei den Konflikten in Darfur oder Myanmar.
Was kann die Schweiz neben den Supermächten, die sich sowieso schon gegenseitig blockieren, ausrichten?
Kritische Stimmen sagen: Gar nichts, weil sowieso nur die fünf Vetomächte das Sagen haben. Es gibt aber auch Beispiele für eine optimistischere Lesart. Schweden zum Beispiel gelang es, Uno-Friedensgespräche für Jemen zu organisieren.
Was nützt der Schweiz der Sitz?
Der Bund argumentiert mit Vitamin B: Als Sicherheitsratsmitglied sitzt die Schweiz mit den ganz Grossen am Tisch, kann mitreden und ist in den Dossiers näher dran als ein «normales» Uno-Mitglied. Darüber hinaus hofft die Schweiz, ihre guten Dienste zu platzieren, die eine oder andere Konferenz ins Land zu holen und damit auch das internationale Genf zu stärken.
Und was riskiert die Schweiz?
Die Schweiz exponiert sich. Böse Zungen sagen, dass es ihr kaum gelingen wird, innert Stunden Positionen zu internationalen Konflikten zu finden, geschweige denn dabei glaubwürdig zu bleiben. Es ist ausserdem mit Druckversuchen der Grossmächte zu rechnen, warnte etwa Jenö Staehelin (82), der erste Schweizer Uno-Botschafter, in einem Interview mit der «NZZ». Das Risiko, dass die Schweiz dann einknicke, sei gross.
Wer sitzt auf dem Schweizer Stuhl – und wer entscheidet, wie abgestimmt wird?
Platz nehmen wird die Schweizer Uno-Botschafterin Pascale Baeriswyl (54), die seit 2020 in New York die Schweiz vertritt. Der Bundesrat entscheidet gestützt auf Völkerrecht und Bundesverfassung über die Positionen, muss aber die zuständigen Kommissionen im Parlament regelmässig informieren und zu den Prioritäten konsultieren.
Wie teuer ist das Engagement für die Schweiz?
Das Aussendepartement beziffert den Aufwand auf 25 Stellen, die für die zwei Jahre Amtszeit zusätzlich nötig sind und danach wieder abgebaut werden. Damit sei die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern im «unteren Mittelfeld». Laut Aussendepartement soll der Grossteil des Aufwands intern kompensiert werden.