«Die Rentenreform bedeutet eine Kürzung für alle»
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Pierre-Yves Maillard:«Die Rentenreform bedeutet eine Kürzung für alle»

Schon über 100'000 Unterschriften – AHV-Referendum kommt zustande
«Die Frauen sind wütend»

Die AHV-Reform kommt definitiv vors Volk. Ein vom Gewerkschaftsbund angeführtes Bündnis hat schon über 100'000 Unterschriften gesammelt. Nötig wäre gerade mal die Hälfte. Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard erklärt, weshalb das Thema so viele Menschen bewegt.
Publiziert: 15.02.2022 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2022 um 06:37 Uhr
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«Die Frauen sind wütend», erklärt Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard den Sammelerfolg.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Der linke Abstimmungserfolg bei der Stempelsteuer ist ein Paukenschlag im neuen Verteilkampf. Und der nächste Paukenschlag folgt sogleich: Das AHV-Referendum kommt zustande – und wie! «Wir haben innert 50 Tagen über 100'000 Unterschriften gesammelt», sagt Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (53) zu Blick. In der Halbzeit der Sammelfrist sind also schon doppelt so viele Unterschriften für das Referendum beisammen wie benötigt.

Das Sammeltempo zeigt: Die Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre brennt den Leuten unter den Nägeln – insbesondere den Frauen. «Die Frauen sind wütend», sagt Maillard. Der Frauenstreik von 2019 hat die Frauen mobilisiert. Eine halbe Million ging damals auf die Strasse.

«Doch anstelle von Verbesserungen für die Frauen lancieren die Bürgerlichen einen direkten Angriff gegen die Fraueninteressen», enerviert sich der SP-Nationalrat. Das Referendum finde deshalb gerade bei Frauen einen grossen Widerhall.

Steuergeschenke hier, Rentenabbau dort

Aber nicht nur. «Die Menschen merken, dass die Reichtumsverteilung in die falsche Richtung geht», sieht Maillard einen zweiten Grund. «Mit der einen Hand verteilen die Bürgerlichen Hunderte Millionen Franken an Steuergeschenken für Reiche, mit der anderen Hand kürzen sie die Rentenleistungen in der AHV und bei den Pensionskassen.» Diesen Widerspruch habe das Stimmvolk auch bei der Stempelsteuer-Abstimmung durchschaut, erklärt sich Maillard den Erfolg vom Sonntag.

Den Schwung will Maillard für die AHV-Abstimmung im Herbst mitnehmen. Doch er ist sich bewusst: «Wir werden eine starke Propaganda der Wirtschaftsverbände gegen uns haben. Es wird ein schwieriger Kampf, aber wir werden alles geben.» Er rechnet damit, dass das Referendum bis weit ins bürgerliche Lager hinein Chancen hat. «In den letzten Jahren sind die Rentenleistungen aus der 2. Säule deutlich gesunken. Viele haben Angst davor, im Alter ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können – darunter sind viele Selbständige», so Maillard. Und kommt die AHV-Reform durch, drohe Rentenalter 66 und höher für alle als nächster Schritt. «Ein Nein liegt im Interesse aller.»

Nationalbank-Gewinne für AHV

Bloss, ohne Gegenmassnahmen kommen in den nächsten Jahren Milliardendefizite auf die AHV zu. Dessen ist sich auch Maillard bewusst. «Geht die Babyboomer-Generation in Pension, erleben wir eine demografische Welle von 20 bis 25 Jahren, die wir finanzieren müssen – und können! Das Geld dazu ist vorhanden.» Er verweist auf die Gewinne der Nationalbank. Die sogenannte Ausschüttungsreserve beläuft sich mittlerweile auf über 100 Milliarden Franken. Geld, das früher oder später an Bund und Kantone ausgeschüttet werden muss.

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«Es ist unglaublich paradox, die Rentenleistung zu kürzen, während dieses riesige Volksvermögen auf einem Konto ‹schläft›», moniert Maillard. Ein Teil der Nationalbankgewinne soll deshalb in die AHV fliessen. Einerseits die Erlöse aus den Negativzinsen – kumuliert gegen zwölf Milliarden Franken. Andererseits soll ein Anteil der sonstigen Nationalbankgewinne der AHV zugutekommen, wobei Maillard mit zwei bis vier Milliarden Franken jährlich rechnet.

«Damit können wir die Renten ohne Rentenaltererhöhung sichern», ist er überzeugt. Schon im Frühling will der Gewerkschaftsbund eine entsprechende Volksinitiative lancieren – mit Blick auf die AHV-Abstimmung ein strategischer Schachzug.

BVG-Reform beeinflusst AHV-Abstimmung

Ob die Erfolgschancen der Linken noch weiter steigen, hängt zudem von der anstehenden Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) ab. Die bürgerliche Mehrheit hat dieser im Nationalrat den Stempel aufgedrückt. Die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern – Frauen erhalten fast die Hälfte weniger als Männer – vermag diese kaum zu vermindern.

Schon diese Woche beugt sich die ständerätliche Sozialkommission über die BVG-Reform. Bleiben die Ständeräte auf dem harten Kurs, spielen sie der Linken in die Hände. Für Maillard ist klar: «Die Bürgerlichen haben ihr Versprechen gebrochen, die Frauenrenten zu verbessern. Wir werden jeden Rentenabbau bekämpfen.»

Referendum wird Ende März eingereicht

Das vom Gewerkschaftsbund angeführte Bündnis gegen die AHV-Reform wird jedenfalls munter weiter Unterschriften sammeln, denn das Referendum wird erst Ende März eingereicht.

Zum Showdown an der Urne kommt es voraussichtlich am 25. September – wohl zusammen mit der Verrechnungssteuer-Teilabschaffung, was für einen zusätzlichen Mobilisierungseffekt sorgen wird.

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