Der Bundesrat macht aus seiner Skepsis kein Geheimnis. «Er erarbeitet kein Szenario, in dem die Asylverfahren ins Ausland ausgelagert werden», bestätigt Samuel Wyss vom Staatssekretariat für Migration (SEM). Vielmehr setzt die Regierung weiter auf «schnelle und faire Asylverfahren mit einem konsequenten Wegweisungsvollzug bei nicht schutzbedürftigen Personen».
Im Blick hatte SVP-Präsident Marco Chiesa (48) gefordert, illegal eingereiste Asylsuchende in ein afrikanisches Land abzuschieben. Er verwies dabei auf das Beispiel Grossbritannien. Kurz vor Weihnachten hat dort ein Gericht die Pläne der britischen Regierung als rechtmässig eingestuft, illegal in das Land eingereiste Migranten nach Ruanda in Ostafrika abzuschieben. Das Vorhaben verstosse nicht gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.
London will Asylverfahren auslagern
Grossbritannien hatte unter dem früheren konservativen Premierminister Boris Johnson (58) ein umstrittenes Abkommen mit Ruanda geschlossen, um Asylsuchende in das ostafrikanische Land auszufliegen. Deren Asylanträge sollen künftig in Ruanda und nicht in Grossbritannien geprüft werden. Ähnliche Pläne werden auch in Dänemark schon länger diskutiert.
Ein entsprechendes Vorhaben solle nun auch die Schweiz prüfen, fordert Chiesa. Damit könne das hiesige Asylsystem deutlich entlastet werden. Denn das Schengen-Dublin-System funktioniere nicht. Das zeige der einseitige Vertragsbruch der neuen italienischen Regierung.
Für Bund ist Auslagerung «nicht durchführbar»
Weil übers Mittelmeer laufend neue Migranten eintreffen, nimmt Italien vorerst keine Dublin-Flüchtlinge mehr zurück. Die Schweiz kann derzeit 184 Personen nicht zurückschaffen, obwohl gemäss Dublin-Abkommen Italien als Einreiseland zuständig wäre. Für die Kantone kommt der Entscheid in einem Moment, in dem sie bei der Unterbringung der vielen Asylsuchenden ohnehin schon an Grenzen stossen.
Der Bundesrat will von seiner bisherigen Asylpolitik dennoch nicht abrücken. Er erachte eine Auslagerung der Asylverfahren «nach wie vor als nicht durchführbar». Denn damit würden nicht nur komplexe rechtliche Fragen aufgeworfen. Es bräuchte auch Abkommen mit Drittstaaten, die bereit wären, entsprechende Verfahrenszentren in ihrem Land einzurichten.
«Zudem müssten von diesen Staaten Garantien eingeholt werden, dass ausreichende verfahrensrechtliche Standards eingehalten und die Menschenrechte geachtet würden», betonte die Regierung bereits in ihrer Antwort auf ähnliche Forderungen. Und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie daran nicht glauben mag: «Der Bundesrat erachtet solche Abkommen derzeit als nicht realistisch.»
Baume-Schneider wird Schraube kaum anziehen
Vielmehr scheint der Bundesrat die Bedenken des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge zu teilen, «wonach die nach Ruanda überstellten Asylsuchenden keinen Zugang zu einem fairen und effizienten Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft haben».
Die Regierung um die bisherige FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (59) verweist lieber auf die Schweizer Asylreform von 2019, die zu einem deutlichen Rückgang offensichtlich unbegründeter Asylgesuche geführt habe. Nur rund zwei Prozent aller Asylgesuche in Europa würden derzeit in der Schweiz gestellt. Diesen Weg will der Bundesrat weitergehen. Es ist schwer vorstellbar, dass SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59) als neue Justizministerin hier die Schraube anziehen wird.
Italien hat bisherige Ankündigung nicht eingehalten
Kommt hinzu: Die Schweizer Behörden gehen davon aus, dass Italien schon bald wieder Dublin-Flüchtlinge zurücknehmen wird. Gemeldet worden sei, dass dies ab Weihnachten wieder der Fall sein werde. «Weihnachten ist zwar jetzt durch», räumt SEM-Sprecher Wyss ein, «aber es wichtig zu betonen, dass Italien auch in den vergangenen Jahren jeweils über die Festtage bis und mit Dreikönigstag am 6. Januar keine Dublin-Überstellungen angenommen hat.»
«Das SEM erwartet, dass die Aussetzung nach den Festtagen wieder aufgehoben wird», stellt Wyss klar. «Diese Erwartung wird von anderen betroffenen Dublin-Staaten geteilt.»