Auf einen Blick
- Sexismus soll strafbar werden: Ständerat entscheidet über Initiative
- Parlamentarierinnen fordern Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm auf Geschlecht
- Experten skeptisch: Unklare Definition von Geschlecht erschwert strafrechtliche Verfolgung
«Winti Fraue figgä und verhaue» – der sexistische Schriftzug auf dem Transparent, das sechs Fans des FC Schaffhausen im Mai 2019 während eines Challenge-League-Spiels gegen den FC Winterthur hochhielten, sorgte landesweit für Empörung. Konsequenzen hatte der verbale Angriff bisher nicht. Der Text sei moralisch zwar verwerflich, jedoch nicht strafbar, urteilte das Bezirksgericht Winterthur zwei Jahre später.
Für sechs Parlamentarierinnen war klar: Die Anti-Rassismus-Strafnorm soll auch Sexismus umfassen. Nachdem 2020 bereits Hass gegen sexuelle Orientierungen erfolgreich unter Strafe gestellt wurde, reichten damals die Nationalrätinnen Sibel Arslan (44, Grüne), Min Li Marti (50, SP), Kathrin Bertschy (45, GLP), Lilian Studer (46, EVP), Marianne Binder-Keller (66, Mitte) und Jacqueline de Quattro (64, FDP) eine parlamentarische Initiative ein, die dasselbe beim Geschlecht forderte.
Sexismus soll endlich strafbar werden
Für Mitinitiantin Min Li Marti würde mit der Änderung eine grosse Lücke in der Anti-Diskriminierung-Strafnorm gestopft: «Sonst scheint es so, als wäre Sexismus das kleinere Übel als Homophobie und Rassismus.» Dabei seien Frauen besonders oft von Hassrede betroffen.
Die Initiative soll aber nicht nur den weiblichen Teil der Gesellschaft schützen. «Hass gegen non-binäre Personen wäre damit nach meiner Auffassung ebenfalls strafbar», sagt Marti. Und ja, auch bei Diskriminierung gegenüber Männern würde dann das Strafgesetz greifen.
Der Nationalrat gab dem Begehren bereits letztes Jahr grünes Licht. Die Rechtskommission des Ständerats erteilte der Initiative der sechs Frauen jedoch gleich doppelt eine Absage. Am Montag wird die kleine Kammer entscheiden, ob sie die Forderung ein für alle Mal versenken möchte.
Aus Fachkreisen kommt wenig Freude
Auch in Fachkreisen kommt wenig Begeisterung für die «Anti-Sexismus-Strafnorm» auf. «Es ist der schlechteste Moment, um das Geschlecht in das Strafgesetzbuch aufzunehmen», sagt Marcel Niggli (64), Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg. Im Unterschied zur Ethnie oder zur sexuellen Orientierung fehle es an einer allgemeingültigen Definition.
«Für das Strafrecht ist Unklarheit der Tod», sagt Niggli. Denn damit liege die Entscheidung letztlich bei der Polizei und Staatsanwaltschaft, ob eine Tat verfolgt wird. Und sie könnten aus Selbstschutz darauf verzichten: «Bei solch unscharfen Straftatbeständen werden sie möglicherweise angegriffen, wenn sie nicht verfolgen, oder gelten als Aktivisten, wenn sie es tun.»
Marti hält dagegen: «Diese Diskussion haben wir bereits mehrfach geführt.» Nämlich sowohl vor der Einführung der Anti-Rassismus-Strafnorm als auch vor der Festhaltung der sexuellen Orientierung. «Jetzt noch über Sinn und Unsinn des Gesetzesartikels zu diskutieren, ist hinfällig», sagt Marti.
Wo ziehen die Behörden die Linie?
Laut Niggli würde es jedoch auch schwierig, zu entscheiden, wo die Strafverfolgung die Linie ziehen soll. Gelten Frauenabende im Kino bald als diskriminierend?
Marti ist sich der Stolperfallen bewusst. Überlebt die Vorlage den Ständerat, könnten im Gesetzesentwurf solche Anlässe ausgenommen werden. «Es geht nicht darum, eine Klagewelle auszulösen», sagt sie. «Sondern stark frauenfeindliche Ideologien und Gruppierungen endlich strafrechtlich verfolgen zu können.» Natürlich würde die Gesetzesänderung aber auch helfen, dass sich Menschen bewusster äussern, sagt die Nationalrätin.
Von einer Signalwirkung hält Strafrechtler Niggli wenig. «Symbolpolitik gehört nicht ins Gesetz», erwidert er. Denn Strafrecht und ein anständiges Verhalten seien zwei unterschiedliche Dinge. «Sowieso lesen Täter kaum zuerst das Gesetz, bevor sie handeln.»