Das Resultat ist enttäuschend. Gerade mal 158 Stimmen erhielt Viola Amherd (61) am Mittwoch bei ihrer Wahl zur Bundespräsidentin. Im Bundeshaus wird es als Denkzettel gewertet. Peinliche Verzögerungen beim neuen Staatssekretariat, die Ruag-Affäre oder ihr Vorpreschen in der Neutralitätsfrage: Amherd steht mit ihrem Verteidigungsdepartement (VBS) vermehrt im Gegenwind.
Und hinter den Kulissen kann Amherd derzeit weiterhin nicht punkten. Im Gegenteil: Die Unzufriedenheit bleibt gross. Das Parlament fühlt sich oft übergangen. Zwar hat das VBS Anfang Juli extra eine breit abgestützte Studienkommission präsentiert, mit Vertretern aller Parteien, Historikern oder Philosophinnen. Doch sogar Kommissionsmitglieder befürchten, die Mitte-Bundesrätin nutze sie einzig als Feigenblatt, um ihren Kurs zu stützen.
Amherd krempelt das VBS munter nach ihrem Gusto um
Ihre Aufgabe: Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs soll sie die künftige Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken und mitgestalten. Bis im Sommer 2024 soll ein Bericht mit Empfehlungen vorliegen. Doch: Amherd schien nie vorzuhaben, das Ergebnis abzuwarten. Denn in der Zwischenzeit krempelt sie die Sicherheitspolitik weiter munter nach ihrem Gusto um.
So gab VBS-Chefin Amherd nur kurz darauf bekannt, dass der Bundesrat den Beitritt zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield plant – ein weiterer Schritt zur Nato hin. Im August folgte ihr Armeechef Thomas Süssli (57) und schaffte ebenfalls Fakten: Er will die Armee umkrempeln. Sie soll wieder fähig werden, militärische Angriffe abzuwehren.
Auch bei den Plänen fürs neue Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (Sepos) blieben Parlament wie Studienkommission aussen vor. Sie sind denn auch heftig umstritten. Amherd aber hält unbeirrt an ihrem Prestigeprojekt fest.
«Sie scheint sich um ihre Studienkommission zu foutieren»
«Während wir die künftige Ausrichtung der Sicherheitspolitik diskutieren, fällt Amherd laufend neue Richtungsentscheide», kritisiert ein Kommissionsmitglied. «Sie scheint sich um ihre Studienkommission zu foutieren.»
Vielen sei gar nicht klar, was die Kommission eigentlich soll. Mehrere Mitglieder erklären Blick, dass sie über einen Austritt nachdenken: «Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr mitmache.» Namentlich will sich niemand zitieren lassen.
Mit der aktuellen Sicherheitspolitik habe die Kommission gar nichts zu tun, erklärt hingegen das VBS. Grundlage sei hierzu nach wie vor der Sicherheitspolitische Bericht 2021. Die Kommission solle Impulse für die Ausarbeitung des nächsten Sicherheitspolitischen Berichts 2025 liefern. Doch: Bis dahin schafft aber Amherd bereits viele Fakten, murren Kommissionsmitglieder.
Sicherheitsexperte hat schon das Handtuch geworfen
Bereits das Handtuch geworfen hat Christian Catrina (67). Der ehemalige Chef Sicherheitspolitik im VBS war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Zu wirr soll ihm die Arbeit in der Studienkommission gewesen sein. «Das sollte zu denken geben», heisst es aus der Kommission. «Immerhin war er als Berichterstatter ein wichtiges Mitglied.»
Von 22 Mitgliedern haben die Parteien 6 gestellt. Den Rest wählte Amherd aus. Präsident ist Ex-Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (63). Sicherheitsexperten sind in der Minderheit. Die Mehrheit bildeten Neutralitätsskeptiker, Nato-Sympathisantinnen und EU-Befürworter, hatte schon der «Tages-Anzeiger» kritisiert – und orakelt, dass mit dieser Zusammensetzung wohl keine Rückkehr zu einer möglichst autonomen Verteidigungsarmee angestrebt werde.
Kommission solle wohl nur bisherigen Kurs stützen
Soll heissen: Amherd habe die Kommission so zusammengesetzt, dass auch möglichst das erwünschte Resultat herauskommt.
Genau das argwöhnen auch Mitglieder der Studienkommission. Diese sei derart heterogen aufgestellt, dass bisher alles sehr schwammig geblieben sei. «Es kommt der Verdacht auf, dass sie gar nicht handfeste Ergebnisse liefern soll», verrät ein Mitglied. Vielmehr scheine es einzig um die Bestätigung des Weges zu gehen, den Amherd längst eingeschlagen hat – und regelmässig Weichen neu stellt. Sie könne sich dann jeweils auf die Kommission berufen.
Auch Präsident Vogt gerät ins Visier. Er habe wenig Ahnung von Sicherheitspolitik. Wichtiger erscheine, dass er auf Amherds Kurs sei. Dabei entscheide er auch, über welche Vorschläge überhaupt diskutiert wird – und über welche nicht. Das nährt den Verdacht, dass die Kommission «nur für die Galerie» ist. «Bis jetzt ist jedenfalls wenig Fleisch am Knochen», heisst es aus der Kommission. Vogt selber will sich auf Anfrage nicht äussern.
Auch Amherd ist klar, dass sie einige Baustellen hat. Und nächstes Jahr muss sie sich nicht nur ums VBS kümmern, sondern die Schweiz auch gegen aussen vertreten. Das macht es nicht einfacher. «Vor uns liegt die Arbeit wie ein Berg. Wir müssen zusehen, dass sie sich nicht zu einem Viertausender oder einem Matterhorn auftürmt», sagte sie am Mittwoch im Parlament. Nun aber lässt sie sich erst mal als neue Bundespräsidentin im Wallis feiern.