Obwaldnerin leistet humanitäre Hilfe in der Ukraine
«Die Gebiete, in denen wir arbeiten, werden zum Teil noch beschossen»

Die Obwaldnerin Yvonne Müller leistet derzeit im Auftrag für das Aussendepartement humanitäre Hilfe in der Ukraine. Im Interview erklärt die Wasseringenieurin, was genau sie tut und mit welchen Schwierigkeiten sie kämpft.
Publiziert: 29.10.2022 um 15:06 Uhr
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Die Ukrainer stehen vor den Trümmern ihrer Existenzen. Und der Winter naht.
Foto: keystone-sda.ch
Interview: Sermîn Faki

Die Schweiz hilft, die Ukraine winterfest zu machen, sodass die Menschen dort die kalte Jahreszeit überstehen. Eine der Expertinnen, die derzeit für die humanitäre Hilfe der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) im Kriegsland arbeitet, ist Wasseringenieurin Yvonne Müller (44). Die Obwaldnerin leistet seit zwölf Jahren für das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Für Blick hat sie sich die Zeit genommen, schriftlich ein paar Fragen zu ihrer Arbeit und der Situation in der Ukraine zu beantworten.

Frau Müller, wo und woran genau arbeiten Sie?
Yvonne Müller:
Im Moment arbeite ich im Norden und Nordosten der Ukraine. Dort geht es vor allem darum, zerstörte Häuser wieder bewohnbar zu machen. Das ist im Moment die wichtigste Aufgabe, weil der Winter naht. Zudem bin ich daran, dringend benötigtes Material zu beschaffen, zum Beispiel Wasserpumpen, Schweissmaschinen oder Kanalreinigungsgeräte.

Wie lange werden Sie dafür brauchen?
Das kann ich im Moment nicht sagen. Der Wiederaufbau wird viel Zeit brauchen. Wir helfen dort, wo es uns braucht. Wenn wir Zugang zu zurückeroberten Gebieten haben, wie zum Beispiel aktuell im Oblast Charkiw, reisen wir in die Ortschaften und besprechen dort mit den lokalen Bauämtern oder den Betreibern von Wasserversorgungstationen, welches Material benötigt wird. Dann schauen wir, wie man dieses Material beschaffen kann.

Wie ist die Situation vor Ort?
Bei den Drohnen-Angriffen der letzten zwei Wochen ist zusätzlich kritische Infrastruktur in den Bereichen Wasser, Abwasser, Heizungen und Strom beschädigt worden. In der Ukraine fehlt es im Moment in erster Linie an effizienten Gerätschaften und Baumaterial. Deshalb hat die Schweiz beschlossen, Kanalreinigungs- und Inspektionsmaschinen, Dutzende Pumpen und Motoren und viel weiteres Material in die Ukraine zu liefern. Diese Güter kommen nun seit den letzten Monaten kontinuierlich an.

Auf welche Schwierigkeiten stossen Sie?
Sicherheit hat Priorität. Die Gebiete, in denen wir tätig sind, werden zum Teil immer noch beschossen. Lange Projektplanungen sind nicht möglich, Entscheide müssen rasch gefällt werden. Ein weiteres Problem sind die langen Lieferfristen, zum Beispiel für Generatoren. Die fehlende Stromversorgung ist aktuell die grösste Herausforderung, vor allem weil der Winter naht.

Wie viele Menschen werden von Ihrer Arbeit profitieren?
Das kommt darauf an, wo wir helfen. Wenn wir zerstörte Häuser reparieren, profitieren einzelne Familien. Dort, wo wir zerstörte Wasser-Abwasser-Versorgung wieder instand stellen, erreichen wir bis zu 600'000 Menschen.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden?
Ich wurde bei der Arbeit noch nie so oft umarmt. Wenn wir mit unserer Hilfe in den zerstörten Gebieten ankommen, ist die Freude riesig. Und zwar vom einfachen Bürger über den Brunnenmeister bis hin zum Lokalpolitiker.

Wie geht es der lokalen Bevölkerung?
Die Menschen machen sich Sorgen über den bevorstehenden Winter, und die Trauer um gefallene Familienmitglieder ist gross. Sie fürchten sich auch davor, dass die Russen zurückkommen. Sie schätzen es sehr, dass die Schweiz vor Ort Hilfe leistet trotz der schwierigen Lage.

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