Bund plant Sofortmassnahmen
Flüchtlingssituation «wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr»

Die Schweiz erlebt aktuell eine Flüchtlingssituation wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Bund vergleicht die Lage sogar mit dem Zweiten Weltkrieg. Das Staatssekretariat für Migration SEM ergreift nun Sofortmassnahmen, unter anderem eröffnet es neue Unterkünfte.
Publiziert: 27.10.2022 um 11:21 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2022 um 18:04 Uhr
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Der Bund hat seine Asyl-Prognosen kurzfristig nach oben korrigieren müssen.
Foto: Keystone

Die Schweiz erlebt aktuell eine Flüchtlingssituation wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Seit Kriegsbeginn hat die Schweiz fast 70'000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Dazu kommt jedoch eine Entwicklung, die im Frühling bei Kriegsbeginn noch niemand voraussah. Seit August steigt die Zahl der «normalen» Asylgesuche aus anderen Ländern steil an.

Die meisten Asylsuchenden stammen aus der Türkei, es handelt sich um Kurden. Dazu kommen Menschen aus nordafrikanischen Ländern und aus Afghanistan. Aktuell werden 800 Gesuche pro Woche gestellt. Im Oktober dürften es also über 3000 Asylgesuche werden.

Mehr Armut

«Wegen Corona konnten viele Menschen in den letzten Jahren nicht reisen», begründete Christine Schraner Burgener, Staatssekretärin für Migration, diese Entwicklung am Donnerstag vor den Medien. Die Corona-Pandemie habe aber natürlich auch die Wirtschaft durchgeschüttelt. «Dort, wo die Menschen schon arm waren, wurden sie noch ärmer», sagte sie.

Die steigenden Asylzahlen hängen indirekt aber auch mit dem Ukraine-Krieg zusammen, beziehungsweise mit den erschwerten Weizen-Exporten aus der Ukraine. Diese liessen vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten die Weizenpreise enorm steigen. «Das führt zu mehr Armut und somit zu mehr Migration», sagte Schraner Burgener.

Gründe wie Pandemie und hohe Weizenpreise sind in der Schweiz zwar keine Asylgründe. «Aber die Menschen kommen trotzdem und wir müssen ihr Gesuch behandeln», sagte die Staatssekretärin. Eine solche Flüchtlingskrise habe es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. «Die Krisen überlappen sich.»

Schraner Burgener rechnet damit, dass die Schweiz in diesem Jahr über 100'000 Menschen aufnehmen wird. Die gestiegene Zahl der Asylsuchenden führt dazu, dass mittlerweile alle sechs Bundesasylzentren komplett voll sind.

Bundesasylzentren sind voll

Im Bundesasylzentrum Zürich leben aktuell 500 Menschen, obwohl das Zentrum nur für maximal 360 Personen konzipiert ist. Schulzimmer und Fitnessraum wurden bereits zu Schlafräumen umfunktioniert. In den Schlafräumen stehen zusätzliche Betten.

«Das ist nicht optimal. Wir bedauern das», sagte David Keller, Leiter des Krisenstabes Asyl beim Bund. «Aber es ist besser, als wenn die Leute draussen schlafen müssten.»

Der Bund hat stets 5000 Unterbringungsplätze zur Verfügung. Diese wurden bereits auf über 9000 aufgestockt. «Wir sind voll», bilanzierte Schraner Burgener. Damit dennoch Menschen aufgenommen werden können, leitet der Bund die Personen ab sofort rascher an die Kantone weiter. Dies betrifft in einer ersten Phase jene, die ohnehin einen Wegweisungsentscheid erhielten, also die Schweiz verlassen müssen.

«Wir sind uns bewusst, dass die Kantone so zusätzlich belastet werden», sagte die Staatssekretärin weiter. Sie betonte deshalb, dass diese Sofortmassnahme vorübergehend sein solle.

Personal wird aufgestockt

Als weitere Massnahme stockt das Staatssekretariat für Migration (SEM) Personal auf, um die Gesuche rascher behandeln zu können, und es eröffnet oder erweitert Unterkünfte, etwa Mehrzweckhallen in Thun BE und Emmen LU oder das Truppenlager Glaubenberg OW.

«Leider müssen wir auch auf unterirdische Zivilschutzunterkünfte zurückgreifen», sagte Schraner Burgener. Das SEM achtet darauf, dass dort nur Menschen untergebracht werden, die nicht direkt aus einem Kriegsgebiet beziehungsweise aus einem Bunker in die Schweiz kamen.

Das SEM rechnet damit, dass die Zahl der «normalen» Asylgesuche im Winter abnehmen wird, weil sich wegen der Kälte die sogenannte Balkanroute «beruhigen» dürfte. Im Gegenzug erwartet das SEM – ebenfalls wegen der Kälte – dann wieder mehr Ukraine-Flüchtlinge. (SDA)

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