Der Unterschied ist gross: Das 8,98 Millionen Einwohner zählende Österreich hat von Anfang Jahr bis Ende August 56’000 Asylsuchende registriert. Bis dahin hat die Schweiz gerade einmal 12’300 Gesuche gezählt. Auf 160 Einwohner der Alpenrepublik kam im Spätsommer ein Asylsuchender. In der kleineren Schweiz standen einer asylsuchenden Person 707 Einwohner entgegen.
Inzwischen liegt die Zahl auch bei uns mit 15'000 klar höher, doch auch in Österreich ist die Zahl der Asylsuchenden weiter gestiegen.
Geografie ist schuld
Warum stellen in Österreich so viel mehr Leute ein Asylgesuch als in der Schweiz? Es dürfte nicht an der besseren Luft und nicht an einer komfortableren Unterbringung liegen. Laut Unterlagen des Staatssekretariats für Migration (SEM) hat es mit der geografischen Lage Österreichs zu tun.
Ein wichtiger Faktor ist die Grenze zu Ungarn. Wie genau die Flüchtlingssituation in Ungarn aussieht, ist laut Migrationsfachleuten schwierig zu beurteilen. Es fehlen die notwendigen Informationen. Klar ist nur: Es gelangen besonders viele Flüchtlinge von dort nach Österreich. Das SEM schreibt: «Die grosse Mehrheit der Asylsuchenden in Österreich wird an der Grenze zu Ungarn angehalten.»
Weiter gen Westen
Diese Migranten stellten meist ein Asylgesuch in Österreich – aber nur, um einer Rückweisung nach Ungarn zu entgehen, berichten die Schweizer Asylbehörden. Anja Klug, Leiterin des Büros der Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR für die Schweiz und Liechtenstein, ergänzt: «Die Erfahrung zeigt, dass viele Menschen, die derzeit in Österreich oder in der Schweiz ein Asylgesuch stellen, gar nicht bleiben wollen.» Ein nicht geringer Teil tauche ab «und reist nach Frankreich und Grossbritannien weiter». Gerade die Schweiz sei für viele Menschen kein Zielland.
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Migranten auf ihrem Weg nach Westen an der Schweizer Ostgrenze gestoppt werden. Und diese Zahl steigt. Waren es im August vor einem Jahr noch 554 Personen, die an der Ostgrenze angehalten wurden, zählte die Grenzwacht im August 2022 schon 3665 Leute – fast siebenmal mehr.
Einfallstor Serbien
Doch auch vom Westbalkan her, also aus den Ländern des einstigen Jugoslawiens, strömen die Migranten nach Österreich. Thema ist auf europäischer Ebene immer wieder Serbien, das Indern, Tunesiern, Kubanern, Chinesen und burundischen Staatsangehörigen die visumsfreie Einreise erlaubt. Ein Teil der ohne Visum nach Serbien gelangenden Personen kehre nie mehr in ihr Heimatland zurück, sondern mache sich auf illegalem Weg auf in den Schengen-Raum.
Kroatien lockt
Eine Rolle spielen könne laut Klug auch, dass Kroatien bald zu Schengen gehören wird: «Das kann für viele Menschen ein Motiv sein, jetzt noch die Grenze nach Kroatien zu passieren, bevor das Land vollständig zum Schengenraum gehört.»
Wie Klug vom UNHCR weiter ausführt, habe man derzeit mit einer «gemischten Bevölkerungsbewegung» zu tun. Es kämen also nicht nur Flüchtlinge der Krisenherde ausserhalb Europas, von denen es derzeit viele gibt, sondern auch andere Migrantinnen und Migranten. Alle benutzten dieselben Routen und Grenzübergänge. «Es scheinen auch viele Personen schon länger in einem europäischen Land gewesen zu sein, die nun nach Westeuropa weiterreisen», so Klug. Gerade auch aus Griechenland, wie das SEM ergänzt.
«Die schwierigen wirtschaftlichen Voraussetzungen nach Corona, wegen des Kriegs in der Ukraine und wegen der hohen Energiepreise dürften zahlreiche Menschen dazu bewegen, aufzubrechen oder eben weiterzureisen», erklärt die UNHCR-Verantwortliche weiter.
Wegen der in den letzten Wochen stark gestiegenen Asylgesuche in der Schweiz geht das SEM neu von mindestens 22’000 Gesuchen in diesem Jahr aus. Dazu kommen die über 60'000 Schutzsuchenden aus der Ukraine, die derzeit in der Schweiz sind. Auch hier werden weitere dazukommen.
Zivis gesucht
Auch bei den Ukraine-Flüchtlingen ist Österreich – wohl ebenfalls wegen seiner geografischen Lage – stärker betroffen. 82'000 schutzsuchende Männer, Frauen und Kinder, die vor dem Angriffskrieg der Russen flüchteten, hat das Land bis Ende September gezählt. In Österreich müssen bereits Migranten in Zelten untergebracht werden.
Das versuchen die Behörden hierzulande zu verhindern. Der Bund, die Kantone und Gemeinden bauen darum ihre Unterbringungsplätze aus. Doch es fehlt auch an Personal.
Um die Betreuung der Geflüchteten sicherzustellen, greift man auch auf Zivildienstleistende zurück. Bis zu sechs Zivis stehen in den Bundesasylzentren im Einsatz. Doch es braucht noch mehr: Über zwei Dutzend Zivi-Einsätze in Asylunterkünften sind derzeit ausgeschrieben.
Die Lage ist herausfordernd. Doch Anja Klug vom UNHCR betont, es zeige sich, dass die Situation bei weitem nicht mit der Flüchtlingswelle der Jahre 2015 und 2016 zu vergleichen ist. Und sie präzisiert: «In Österreich, wo die Zahl der Flüchtlinge deutlich höher ist als in der Schweiz, ist die vermeintliche Krise bei der Unterbringung in erster Linie hausgemacht.»