Ihre Arbeit für Schweizer Nichtregierungsorganisationen hat eine Afghanin in Lebensgefahr gebracht. Doch auf Hilfe des Bundes kann sie nicht zählen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat ihr Gesuch auf ein humanitäres Visum abgelehnt, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Die Frau (46), der «Tages-Anzeiger» nennt sie zu ihrem Schutz beim fiktiven Namen Malalai H., hat bis April 2022 in Afghanistan für die Schweizer Stiftung Womanity Foundation mit Sitz in Lancy GE gearbeitet. Sie habe beispielsweise Programmier- und Englischunterricht für junge Frauen organisiert, berichtet die Zeitung. Früher sei sie für die Zuger Stiftung Hagar International tätig gewesen und habe ein Haus für Opfer von Menschenhandel geleitet.
Todesdrohungen gegen sie und ihre Familie
Wegen ihres Engagements für Schweizer NGOs geriet H. ins Visier der Taliban. Die militanten Islamisten haben eine Art Haftbefehl gegen die vierfache Mutter ausgestellt, weil sie für «ausländische Organisationen» gearbeitet hat. Wie Pierre Tami, Gründer von Hagar International und ehemaliger Schweizer Honorarkonsul in Kambodscha, gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagt, soll seine ehemalige Mitarbeiterin zudem mehrere Anrufe und Briefe erhalten haben, in denen ihr und ihrer Familie mit dem Tod gedroht werde.
Afghanistan unter den Taliban
Nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 wurde es H. zu gefährlich, sie will Afghanistan verlassen. Mehrmals hätten Taliban ihr Haus durchsucht. Der ehemalige Honorarkonsul Tami ersucht bei Aussenminister Ignazio Cassis (61) höchstpersönlich um Hilfe. H. stellt schliesslich ein Gesuch für ein humanitäres Visum.
Bund sieht sich nicht in Verantwortung
Dieses allerdings lehnt das Staatssekretariat für Migration ab. Aus Sicht des Bundes schwebt H. die Afghanin nicht in unmittelbarer Gefahr. Ausserdem besteht laut SEM keine «enge Beziehung» zur Schweiz, eine Voraussetzung für das Stattgeben eines humanitären Visums, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Für das SEM ist diese nur gegeben, wenn jemand für eine Schweizer Organisation arbeitet, die Geld vom Bund erhält. Die NGOs, für die H. arbeitete, wurden vom Kanton und der Stadt Genf unterstützt – nicht aber vom Bund.
In Genf löst das Irritation aus. Der Genfer Grünen-Nationalrat Nicolas Walder (56) sieht den Bund klar in der Verantwortung. Er fordert in einem Vorstoss, dass die Schweiz auch Personen hilft, die für Organisationen arbeiten, welche von Kantonen oder Gemeinden unterstützt werden.
Auch H. hat den ablehnenden Entscheid des SEM nicht einfach hingenommen. Sie hat beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt. Ein Urteil steht noch aus. (lha)