«Auf dem Weg zum Flughafen wurden meine Kinder ohnmächtig»
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Shinwari (31) im August 2021:«Auf dem Weg zum Flughafen wurden meine Kinder ohnmächtig»

Aus Afghanistan geretteter Mitarbeiter ist enttäuscht vom Bund
«Wir hatten einen guten Job – jetzt sind wir Bettler»

Sultan Shinwari arbeitete früher für den Bund in Kabul. Als einer von 218 Afghanen kam er nach der Taliban-Machtübernahme in die Schweiz. Der Bund versprach, die ehemaligen Angestellten zu unterstützen. Ein Jahr später ist Shinwari enttäuscht.
Publiziert: 16.08.2022 um 00:41 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2022 um 08:56 Uhr
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Sultan Shinwari (32) ist vor einem Jahr mit seiner Familie in die Schweiz gekommen.
Foto: Luisa Ita
Lea Hartmann

Es musste alles sehr schnell gehen. Dank der Hilfe der deutschen Bundeswehr und mit Unterstützung von Schweizer Elite-Soldaten gelang es dem Bund nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021, das in Kabul stationierte Personal sowie weitere Schweizer Staatsangehörige in Sicherheit zu bringen.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) hatte in der afghanischen Hauptstadt ein Kooperationsbüro betrieben. Weil die Taliban die lokalen Mitarbeitenden als westliche Kollaborateure betrachten könnten, war ein Verbleib in Afghanistan auch für sie zu gefährlich. Die Angestellten und ihre Familien, insgesamt 218 Personen, sind darum mit einem humanitärem Visum in die Schweiz gekommen.

Das Schweizer Kooperationsbüro ist bis heute geschlossen. Vier Personen würden von der Schweiz aus die Arbeit weiterführen, sagt Pierre Alain Eltschinger vom Aussendepartement (EDA) zu Blick. Die rund 40 lokalen Angestellten und ihre Familien haben in der Schweiz im vereinfachten Verfahren Asyl erhalten. Wie viele von ihnen heute noch im Land sind, kann das EDA nicht sagen.

Mit zwei Rucksäcken in die Schweiz gekommen

Einer, der weiterhin in der Schweiz lebt, ist der Afghane Sultan Shinwari (33). Der studierte Finanzcontroller kam mit seiner Frau und seinen vier Kindern in die Schweiz. «Ausser zwei Rucksäcken voller Kleidung mussten wir alles zurücklassen», erzählte Shinwari, als Blick ihn nach seiner Ankunft in der Asylunterkunft in Kirchlindach BE besucht hatte.

Ein Jahr später lebt die Familie in einer eigenen Wohnung in Jegenstorf BE. Es gehe ihnen gut, sagt Shinwari. Eine dauerhafte Rückkehr kommt für die Familie derzeit nicht infrage, zu unsicher sei die Situation in ihrer Heimat. Doch in der Schweiz Fuss zu fassen, ist schwer. Der Afghane lernt Deutsch und sucht einen Job, bisher allerdings vergeblich.

Die Familie bezieht Sozialhilfe – ein Umstand, der für Shinwari nur schwer zu ertragen ist. «In Kabul haben wir den Armen Geld gegeben, um Essen für ihre Familien zu kaufen, weil wir einen guten Job hatten. Jetzt sind wir Bettler und leben von der Sozialhilfe», sagt er. Nicht nur ihm, auch vielen ehemaligen Kollegen schlage das aufs Gemüt.

Er wünschte sich mehr Unterstützung

Shinwari fühlt sich von der Schweiz im Stich gelassen. Der Bundesrat hatte angekündigt, sich um die lokalen Angestellten zu kümmern. Man habe eine Fürsorgepflicht, hatte Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) vor einem Jahr betont.

Doch: Die drei Monatslöhne, die Shinwari und seine Kollegen vom Aussendepartement als Abfindung erhalten hatten, mussten sie dem Staatssekretariat für Migration (SEM) nach Ankunft in der Schweiz direkt wieder abliefern.

Einige seiner ehemaligen Kollegen lebten noch immer in einem Asylzentrum, sagt Shinwari. «Es gibt keine weitere Unterstützung vom EDA», so der Afghane. Er hätte erwartet, dass er Hilfe bei der Jobsuche bekommt. Doch das sei nicht der Fall.

«Meine Kinder denken, wir seien Verbrecher»

Für das EDA beschränkte sich die Hilfe auf ein Treffen mit den Ex-Mitarbeitern. Dieses fand im Mai statt, ganze neun Monate nach der Flucht in die Schweiz. Als Grund für den späten Termin hatte der Bund die Pandemie angeführt. Was die Unterstützung bei der Jobsuche betrifft, verweist das EDA auf Kantone und Gemeinden, die mit Erhalt des positiven Asylentscheids zuständig seien.

Schwierig zu akzeptieren ist für Shinwari auch, dass es ihnen als anerkannte Flüchtlinge verboten ist, nach Afghanistan zu reisen. «Meine Kinder denken, wir seien Verbrecher, dass wir nicht zurückdürfen, um die Grosseltern zu besuchen», sagt er. «Ich frage mich, weshalb die Schweizer Regierung so mit den Menschen umgeht, die ihnen helfen, ihre Ziele in Afghanistan zu erreichen.»

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