Oberster Energiedirektor Roberto Schmidt (60) kritisiert Mikro-Management des Bundesrats
«Man kann selbst bei Strommangellage nicht alles bis ins letzte Detail kontrollieren»

Als Präsident der kantonalen Energiedirektoren steht der Walliser Staatsrat Roberto Schmidt mitten im energiepolitischen Sturm. Den Strom-Notfallplan des Bundes kann er nicht überall nachvollziehen. Und er pocht auf Ordnungsbussen anstelle strafrechtlicher Sanktionen.
Publiziert: 30.12.2022 um 11:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.12.2022 um 11:39 Uhr
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Der Walliser Staatsrat Roberto Schmidt steht als oberster Energiedirektor mitten im energiepolitischen Sturm.
Foto: AFP
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nicht nur eine sicherheitspolitische Zeitenwende eingeläutet. Angesichts der drohenden Gas- und Strommangellage hat er auch die Energiepolitik verändert. Mitten im energiepolitischen Sturm: der Walliser Mitte-Staatsrat und oberste Energiedirektor Roberto Schmidt (60). Der Präsident der kantonalen Energiedirektoren-Konferenz hat einst als Nationalrat den Atomausstieg initiiert. Von diesem rückt er auch heute nicht ab, wie er im Blick-Interview klarmacht.

Blick: Herr Schmidt, Sie gelten als «Vater des Atomausstiegs». Bereuen Sie Ihren Vorstoss mittlerweile?
Roberto Schmidt: Nein. Die jetzige Stromknappheit ist nicht auf den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie zurückzuführen, sondern auf unsere Abhängigkeit von ausländischen fossilen Energien.

Bürgerliche denken bereits über Subventionen für die bestehenden vier AKW nach, um deren Laufzeit zu verlängern.
Der richtige Weg ist es, Subventionen für die raschere Umsetzung der Energiewende bereitzustellen. Eine erneuerbare Energieversorgung ohne Kernkraft, wie sie von der Schweizer Stimmbevölkerung 2017 beschlossen wurde, ist sinnvoll und langfristig möglich. Trotzdem war ich persönlich nie dagegen, dass die heute noch aktiven AKW so lange weiterbetrieben werden, wie sie die gesetzlichen Sicherheitsanforderungen erfüllen.

Kommen auch neue AKW infrage?
Nein, denn neue Atomkraftwerke lösen weder kurzfristig die Probleme der Energiekrise, noch sind sie mittel- und langfristig eine sinnvolle Option. Neue Atomkraftwerke sind wirtschaftlich nicht attraktiv und die Abfallentsorgung bleibt ein Problem und wirtschaftliches Risiko. Selbst wenn man sich auch im Bereich der Kernenergie neuen Technologien nicht vollends verschliessen soll, ist die ganze Diskussion über neue AKW zum jetzigen Zeitpunkt eine reine Scheindebatte, die letztlich nichts bringt.

Nun übernimmt mit Albert Rösti ein ausgewiesener Atombefürworter das Energiedepartement. Sprühen künftig zwischen dem obersten Energiedirektor und «Atom-Rösti» die Funken?
Keineswegs! Albert Rösti und ich kennen uns schon seit Jahren und haben immer gut zusammengearbeitet. Ich bin überzeugt, dass er den demokratischen Entscheid der Schweizer Stimmbevölkerung respektiert und den Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung sogar rascher vorantreiben könnte, weil er bei der Interessenabwägung zwischen Energieproduktion und Landschaftsschutz eine klare Meinung hat.

Vorerst gilt es, eine Strommangellage zu verhindern. Der Bundesrat will im Ernstfall bis ins kleinste Detail vorschreiben, wann und wie man Strom sparen soll. Gefällt Ihnen dieser Nanny-Staat?
Ich nenne es Mikromanagement. Es gefällt wohl niemandem, wenn sich der Staat ins private Leben einmischt. Man kann selbst bei einer Strommangellage nicht alles bis ins letzte Detail regeln, geschweige denn kontrollieren. Wichtig wäre es meines Erachtens, im Ernstfall nur einige wenige, klar verständliche Vorschriften mit der grössten Wirkung zu beschliessen. Aber trotzdem war es wichtig, dass der Bundesrat einmal aufzeigte, wie und wo man bei einer Mangellage Strom sparen kann. Jeder und jede von uns kann dazu einen Beitrag leisten und erst noch Energiekosten einsparen.

Dann sehen Sie die Detailvorschriften also eher kritisch.
Die ersten Entwürfe der Verordnungen waren kaum brauchbar und hätten einzelnen Branchen grossen wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Mit den neuen Bewirtschaftungsmassnahmen können wir leben. Ich finde es gut, dass man für die verschiedenen Eskalationsschritte – Sparappelle, Verbote, Kontingentierungen, Netzabschaltungen – je spezifische Massnahmen vorsieht.

Aber?
Allerdings ist immer noch weitgehend unklar, aufgrund welcher Kriterien welche Massnahmen ausgelöst werden. Wirtschaft und Bevölkerung brauchen in jedem Fall eine gewisse Vorlaufzeit, um sich auf die nächste Eskalationsstufe vorbereiten zu können.

Welche erachten Sie als unsinnigste Vorgabe?
Die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften im privaten Bereich durch die Kantone. Das ist schon aufgrund der personellen Ressourcen gar nicht möglich. Unsinnig ist es auch, die Nichteinhaltung der Vorschriften strafrechtlich sanktionieren zu wollen. Damit verursacht man den ohnehin schon überlasteten Strafverfolgungsbehörden unnötige Arbeit. Sollte der Bundesrat an Sanktionen festhalten, so sollte er sich auf Ordnungsbussen beschränken.

Die Energiedirektoren-Konferenz beurteilt gewisse Massnahmen als nicht nachvollziehbar. Was konkret?
Gewisse Massnahmen scheinen mir nicht verhältnismässig und schwer kommunizierbar zu sein. So ist beispielsweise schwer verständlich, dass Wellness-Anlagen und Saunen selbst im letzten Eskalationsschritt noch weiterbetrieben werden dürfen, während Private ihre Raumtemperatur auf 18 Grad senken sollen und die Grossverbraucher ihren Verbrauch kontingentieren müssen. Zudem ist in den Gasverordnungen eine Raumtemperatur von 20 Grad vorgesehen. Wer also mit Gas heizt, soll mehr heizen dürfen als jener, der mit einer Wärmepumpe oder mit Strom heizt. Das versteht niemand.

Roberto Schmidt – oberster Energiedirektor

Er gilt als «Vater des Atomausstiegs»: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima reichte Mitte-Mann Roberto Schmidt (60) 2011 als Nationalrat die entscheidende Motion ein, die den Schweizer Atomausstieg einläutete. Von 2007 bis 2011 sowie von 2015 bis 2017 sass er in der grossen Kammer, bevor er in den Walliser Staatsrat gewählt wurde. Dort steht er dem Departement für Finanzen und Energie vor. Zudem präsidiert er die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren. Schmidt ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Er gilt als «Vater des Atomausstiegs»: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima reichte Mitte-Mann Roberto Schmidt (60) 2011 als Nationalrat die entscheidende Motion ein, die den Schweizer Atomausstieg einläutete. Von 2007 bis 2011 sowie von 2015 bis 2017 sass er in der grossen Kammer, bevor er in den Walliser Staatsrat gewählt wurde. Dort steht er dem Departement für Finanzen und Energie vor. Zudem präsidiert er die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren. Schmidt ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Die Energiedirektoren wehren sich auch gegen Einschränkungen der Elektromobilität. Es macht doch Sinn, wenn man das E-Auto mal stehen lässt.
Die Anzahl der Elektrofahrzeuge ist zu gering, als dass diese Massnahme die gewünschte Wirkung erzielen würde. Sicher macht es Sinn, Autos wenn möglich einmal freiwillig stehen zu lassen. Auf der höchsten Eskalationsstufe könnte man die private Nutzung von Autos auch grundsätzlich einschränken. Aber es kann ja nicht sein, dass man die Bevölkerung für eine nachhaltige Mobilität sensibilisiert, den Kauf von Elektroautos und die Installation von Ladeinfrastrukturen mit Subventionen fördert und dann die Benützung der E-Autos plötzlich verbieten will. Das wäre kein glaubwürdiges Signal an die Bevölkerung.

Es droht auch Tempo 100 auf der Autobahn. Was halten Sie davon?
Dazu haben sich meines Wissens bisher weder die Energiedirektoren-Konferenz noch die Kantone geäussert. Persönlich könnte ich mich mit einer zeitlich befristeten Geschwindigkeitsbegrenzung im Krisenfall durchaus anfreunden. Damit würde der Benzinverbrauch reduziert, was ein weitgehend schmerzfreier Beitrag des motorisierten Verkehrs wäre. Damit bliebe auch mehr Treibstoff für Notstromaggregate verfügbar, und an den Tankstellen wird erst noch Strom gespart.

Seit September läuft die Energieparkampagne von Bund und Kantonen. Haben Sie seither weniger E-Mails verschickt, wie es der Kanton Wallis vorschlägt?
Leider nein, aber zumindest habe ich meinen Computer zwischendurch öfter ausgeschaltet.

Wo haben Sie persönlich angesetzt?
Wir haben auch zu Hause die Raumtemperatur auf 20 oder in gewissen Räumen gar auf 18 Grad gesenkt und einzelne Lampen gänzlich abgestellt. Bei den Elektrogeräten wurde der Stand-by-Modus ausgeschaltet, und auch beim Kochen befolgen wir einige einfache und wirkungsvolle Spartipps.

Wo macht Ihnen Energie sparen am meisten Mühe?
Wenn ich beim Duschen auf warmes Wasser verzichten müsste. Aber so weit wird es hoffentlich nie kommen.

Sie haben Ihren Beamten weniger heizen und mehr Treppen steigen verordnet. Müssen Ihre Angestellten in den Büros frieren?
Frieren soll niemand, aber man kann durchaus auch einmal einen Pullover anziehen. Die Reduktion der Raumtemperatur in den Büros auf 20 Grad verlief in der Walliser Kantonsverwaltung anfänglich zwar nicht ganz optimal, weil es schwierig war, die Temperatur in den älteren Gebäuden genau einzustellen. Auf einigen Stockwerken hatte man plötzlich zu kalt, was natürlich nicht gut ankam. In der Zwischenzeit konnten die Probleme jedoch weitgehend gelöst werden.

Rechnen Sie mit noch drastischeren Massnahmen, so dass es etwa zu Homeoffice oder Bürozusammenlegungen kommt?
Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Monaten keine drastischeren Massnahmen nötig sein werden. Falls sich aber die Situation verschlimmern sollte, so könnte zum Energiesparen durchaus wieder Homeoffice angeordnet werden, wie wir dies während der Covid-Pandemie sehr erfolgreich getan haben.

Macht Ihnen der Blick auf das Energiejahr 2023 Sorgen?
Die Situation hat sich dank dem milden Herbst, den gut gefüllten Wasser- und Gasspeichern und den Sparbemühungen der Wirtschaft und der Bevölkerung inzwischen etwas entschärft, so dass uns in diesem Winter wohl kaum das Licht ausgehen wird. Sorgen bereitet mir hingegen der Winter 2023/2024.

Inwiefern?
Unter anderem, weil es für unsere europäischen Nachbarn nächstes Jahr schwieriger sein wird, ihre Gasspeicher wieder zu füllen. Darum sollten wir die nächsten Monate unbedingt nutzen, um das Bewirtschaftungskonzept zu optimieren. Im Gegensatz zu Covid-19 wäre die Energiekrise nämlich eine planbare Krise!

Welche Optimierungen schlagen Sie vor?
Für vulnerable Personen, die in Privathaushalten wohnen und auf den Betrieb von lebenserhaltenden Geräten angewiesen sind, sollten frühzeitig Lösungen gefunden werden. Zweckmässig wären auch freiwillige Kontingentierungen, die heute nicht vorgesehen sind. Vor allem bei industriellen Grossverbrauchern kann durch das gezielte und frühzeitig planbare Ab- und Zuschalten von Lasten gegen Entschädigung ein grosses Potenzial genutzt werden.

Zum Schluss: Wie feiern Sie energiesparsam Silvester?
Ich habe an Silvester und Neujahr noch nie viel Energie verschwendet, da wir meistens zu Hause bleiben und im Familien- oder Freundeskreis feiern. Und da ist ja viel Kerzenlicht ohnehin romantischer.

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