Das hat sogar FDP-Präsident Thierry Burkart (47) überrascht. Angeführt von SP-Energieministerin Simonetta Sommaruga (62) zeigt sich der Bundesrat plötzlich bereit, den AKW-Betreibern notfalls unter die Arme zu greifen und mögliche Anpassungen der Rahmenbedingungen für den Langzeitbetrieb der Atomkraftwerke zu prüfen.
Die drohenden Stromlücken in den kommenden Wintern haben den Bundesrat aufgeschreckt. Die Schweizer Atomkraftwerke sollen so lange wie möglich weiterbetrieben werden können.
Zweiter «Fall Mühleberg» soll verhindert werden
Als mahnendes Beispiel dient das AKW Mühleberg. Im Dezember 2019 hat die Berner BKW das Atomkraftwerk vom Netz genommen. Das ist ganz im Sinne des schrittweisen Atomausstiegs, den die Schweiz 2017 mit der Energiestrategie beschlossen hat.
Allerdings: Bei Mühleberg gaben einzig betriebswirtschaftliche Kriterien den Ausschlag. Die BKW hätte einen dreistelligen Millionenbetrag in die Sicherheit stecken müssen – ohne zu wissen, wie lange die Anlage noch betrieben werden kann. So viel Geld wollte der Energiekonzern doch nicht mehr investieren.
Dass ein weiteres der vier verbleibenden AKW einzig wegen mangelnder Rentabilität stillgelegt wird, will die FDP verhindern – auch wegen der drohenden Stromlücke. Die Partei setzt sich sogar dafür ein, dass die Nachrüstungen der Anlagen, die für eine zuverlässige Stromversorgung unentbehrlich sind, mit Bundesgeldern unterstützt wird.
Frankreich muss immer wieder AKW abschalten
Und tatsächlich signalisiert der Bundesrat unerwartet viel Entgegenkommen für die Unterstützung.
Heute dürfen die bestehenden AKW in der Schweiz so lange weiterlaufen, wie sie sicher sind. Gingen die Behörden und Betreiber lange davon aus, dass die Anlagen nach 50 Jahren stillgelegt werden müssen, rechnen sie nun mit einer Laufzeit von 60 Jahren. Demnach müsste Leibstadt im Jahr 2044 als letztes AKW vom Netz.
Zumindest diese Zeitspanne soll möglichst ausgereizt werden. Die AKW sollen noch Jahre zuverlässig Strom liefern und so einen nahtlosen Übergang gewährleisten, bis die Schweiz mit erneuerbarer Energie ihren Strombedarf decken kann.
Probleme in Frankreich
Diese Offenheit sei auch vor dem Hintergrund der Wartungsprobleme bei vielen AKW in Frankreich zu sehen, erklärt Sprecherin Annetta Bundi vom zuständigen Umwelt- und Energiedepartement (Uvek).
Noch aber hofft der Bundesrat, dass er keine Bundesgelder in die AKW stecken muss. Weil der Ukraine-Krieg auch die Strompreise hat hochschnellen lassen, geht die Landesregierung derzeit davon aus, «dass ein Langzeitbetrieb ohne finanzielle Unterstützung des Bundes wirtschaftlich möglich ist».
FDP-Präsident Burkart plädiert aber nicht in erster Linie für direkte Bundesgelder. Möglich wäre für ihn auch eine Reduktion der Abgaben in den Stilllegungsfonds.
«Die Antwort des Bundesrats zeigt aber immerhin, dass er erkannt hat, dass neben einer Offensive für erneuerbare Energien auch der längere Betrieb der bestehenden Kernkraftanlagen nötig ist», zeigt er sich zufrieden. «Und sie zeigt, dass die Energiestrategie aufgrund gewisser Fehlannahmen Korrekturen braucht.»
Öko-Parteien wehren sich gegen AKW-Subventionen
Deutlich weniger zufrieden zeigen sich die Öko-Parteien. «Man sollte nicht auf Vorrat eine Technologie subventionieren, die keine Zukunft hat», findet GLP-Präsident Jürg Grossen (53). «Im aktuellen Kontext mit den hohen Strompreisen stellt sich das Problem ja gar nicht, dass AKW aus finanziellen Gründen stillgelegt werden sollen.»
Viel mehr Gewicht will Grossen auf die Verbesserung der Stromeffizienz legen sowie auf den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren. «Die bürgerlichen Parteien sind bei den erneuerbaren Energien in den letzten zehn Jahren aber mit beiden Füssen auf der Bremse gestanden», so der GLP-Chef. Zudem sieht er die Gefahr, dass zusätzliche finanzielle Anreize für AKW-Betreiber den Ausbau der Erneuerbaren verlangsamen.
Auch Grünen-Fraktionschefin Aline Trede (39) hat eine klare Meinung zu den Bemühungen zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten: «Das geht gar nicht!» Statt Mittel in längere AKW-Laufzeiten zu stecken, sei das Geld besser in den Zubau erneuerbarer Energien und den Ersatz von Gas- und Ölheizungen zu investieren. So aber würden plötzlich die Spielregeln der vom Volk beschlossenen Energiestrategie geändert.