Der Kanton Wallis hat die Sicherheit bei der brieflichen Wahl erhöht. Nun befürchten Kritiker, dass ausgerechnet diese Regelung dazu führt, dass weniger Menschen an den Wahlen vom Sonntag teilnehmen. An diesem Tag bestimmen die Stimmberechtigten der Schweiz das neue Parlament in Bern.
Anfang 2021 bekamen jeder stimmberechtigte Walliser und jede Walliserin einen Bogen mit mehreren selbstklebenden Etiketten.
Darauf sind der Name und Wohnort der stimmberechtigten Person aufgeführt. Bei jeder Abstimmung oder Wahl muss jetzt eine der vor zwei Jahren ausgehändigten Etiketten auf dem Stimmausweis aufgeklebt werden. Sonst ist die Stimme ungültig.
Fehlen unordentliche Walliser an der Urne?
Wenige Tage vor den Wahlen würden viele Walliser verzweifelt ihre Etiketten suchen, sagt Stefanie Kalbermatter- Amacker, Vizepräsidentin vom Verband Mitarbeiter öffentliche Verwaltung Oberwallis (MöVO) und stellvertretende Gemeindeschreiberin in Raron. «In den letzten Wochen merkten viele, dass ihnen die Etiketten fehlten, und bestellten sie nach», so Kalbermatter-Amacker zu Blick. «In der Gemeinde Raron ist die Nachbestellung der Etiketten kostenpflichtig.»
Ähnliches habe sie von ihren Kollegen aus den anderen Gemeinden gehört. Stimmberechtigte würden aber teilweise auch aufs Abstimmen und Wählen verzichten, weil sie ihre Etiketten nicht mehr fänden, und sie nicht kostenpflichtig nachbestellen wollten, so Kalbermatter-Amacker weiter. Sie selbst habe ihre Etiketten sicher in der Schublade ihres Backofens verstaut.
An der Urne braucht es keine Etikette
Der MöVO-Verband ist schon seit der Einführung kritisch gegenüber den Kleberli, und sieht darin vor allem einen Mehraufwand für das Personal und die Stimmberechtigten. So gibt es auch einige Gemeinden, wo sie gratis nachbestellt werden können.
«Sehr viele Leute sagen mir, sie fänden die personalisierten Etiketten nicht mehr», sagt auch der Walliser Mitte-Nationalrat Philipp Matthias Bregy (45). Er empfehle diesen Leuten dann, am Sonntag an der Urne zu wählen, dann braucht es den Kleber nicht.
Allerdings hat Bregy ein gewisses Verständnis für all jene, die jetzt ihre Haushalte auf den Kopf stellen. «Ich bin froh, dass meine Frau meine Etiketten so versorgt hat, dass ich sie wieder finde. Sonst wäre das Risiko gross, dass auch ich sie lange suchen müsste», so Bregy lachend.
Wie viele Walliser bei diesen Wahlen brieflich gewählt haben, ohne die obligatorische Etikette anzukleben, kann erst nach den Wahlen erhoben werden.
Am Anfang stand ein Betrug
Grund für das Kleberli-Obligatorium war die Wahlfälschung bei den Grossratswahlen 2017. Damals waren rund 190 Wahlcouverts aus Briefkästen in Brig, Naters und Visp gefischt und gestohlen worden. Aufgeflogen war der Wahlbetrug damals, weil sich die betroffenen Stimmbürger beschwerten, keine Wahlunterlagen bekommen zu haben.
Doch deren unterzeichneter Stimmausweis war da schon brieflich eingegangen. Die Polizei kam dem Betrüger auf die Schliche: Im September 2018 wurde ein Schweizer aus dem Oberwallis zu zwölf Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Er war damals Parteimitglied der SVP.
Letzten Herbst informierte die Dienststelle für innere und kommunale Angelegenheiten die Walliser Gemeinden über eine gestiegene Zahl ungültiger Stimmzettel. Man müsse von einem «deutlichen Anstieg» sprechen, hiess es damals – im Verdacht war die Kleberli-Regel.