Wahlen befeuern politische Debatten – könnte man meinen. Doch gewisse Themen werden totgeschwiegen, um die Wähler nicht zu vergrämen. Soeben sei das in der Wirtschaftskommission des Ständerats geschehen, kritisieren Linke. Und Bundesrätin Karin Keller-Sutter (59) dürfte es freuen.
Gemeint ist die Tonnagesteuer. Sie soll es Reedereien ermöglichen, ihre Schiffe anhand der Ladekapazität zu besteuern, anstelle des Gewinns, wie eigentlich üblich. Das Ziel der Spezialregelung: Weniger Steuern für Schifffahrtsunternehmen. Im Mai 2022 hat sich der Bundesrat dafür ausgesprochen. Er argumentierte, die Tonnagesteuer sei ein Mittel, um den Standort Schweiz attraktiver zu gestalten.
Bereits 21 EU-Länder haben eine solche Regelung eingeführt. Doch die finanziellen Auswirkungen auf die Schweiz lassen sich nicht genau vorhersagen, da statistische Daten fehlen. Experten schätzen jedoch, dass die Steuerlast für Reedereien auf sechs bis sieben Prozent sinken könnte. Das bedeutet, die Reedereien müssten dem Fiskus weniger als halb so viel zahlen. Denn eigentlich hätten sie 15 Prozent abzuliefern, so wie es die OECD-Mindeststeuer vorschreibt, die vom Volk im Sommer angenommen wurde.
Dennoch nimmt die Schweizer Regierung an, dass allfällige Mindereinnahmen gering ausfallen, dank «zu erwartenden positiven Effekten». Das heisst: Der Bundesrat hofft, dass tiefe Steuern neue Unternehmen anziehen, was wiederum die Wirtschaft ankurbelt.
Ständeratskommission zieht die Handbremse
Der Nationalrat hat Ende 2022 ebenfalls der Tonnagesteuer zugestimmt. Ein Sieg der bürgerlichen Parteien, da sich SP, Grüne und GLP dagegen stemmten. Als Nächstes kommt das Geschäft in den Ständerat. Doch das Stöckli tritt nun auf die Bremse. Statt die Tonnagetaxe zu behandeln, hat die zuständige Wirtschaftskommission das Geschäft am Montag nach hinten verschoben, wie Blick weiss.
Als Grund haben bürgerliche Politiker weitere Abklärungen zu den finanziellen Auswirkungen und der Verfassungsmässigkeit genannt. Denn als Verfassungsgrundsatz gilt die steuerliche Gleichbehandlung. Und die Tonnagesteuer würde das umgehen.
Linke Politiker wittern hinter der Verschiebung des Geschäfts Kalkül. «Neue Abklärungen fordert der Ständerat stets dann, wenn er etwas nicht behandeln will», sagt eine involvierte Person. Kommenden Sonntag wählt die Schweiz – und der Bund muss sparen. Beides seien schlechte Voraussetzungen, um Steuererleichterungen für Milliardenunternehmen ein Ja zu erteilen.
Weltweit grösste Reederei ist in der Schweiz
Zur Veranschaulichung: Die grösste Reederei der Welt heisst Mediterranean Shipping Company (MSC) und hat ihren Sitz in der Schweiz. Sie besitzt mehr als 730 Schiffe, hat 150’000 Mitarbeitende und 2022 schätzungsweise 30 Milliarden Franken Gewinn gemacht. Laut der Swiss Trading and Shipping Association werden 22 Prozent aller Schiffe auf den Weltmeeren von der Schweiz aus gelenkt. Das zeigt: Bei der Tonnagesteuer geht es um viel Geld.
Und der Bundesrat unterstützt die Steuererleichterung, obwohl er ein Milliardendefizit verkraften muss. Für die kommenden Jahre sind ebenfalls rote Zahlen programmiert. Also muss Finanzministerin Keller-Sutter sparen. Nur ein Beispiel: Der Nationalrat möchte mehr Geld für die familienergänzende Kinderbetreuung. So könnte im ersten Jahr mit 800 Millionen Franken gestartet werden. Doch der Bundesrat will höchstens halb so viel ausgeben.
Grüne drohen mit Referendum
Reedereien weniger Steuern ermöglichen und zugleich bei den Kita-Ausgaben kürzen – das wäre für Keller-Sutter schwierig zu rechtfertigen. Es heisst, die Bundesrätin fürchte einen Zweifrontenkrieg, weshalb sie die Tonnagesteuer nicht wirklich wolle. Ohnehin ist es nicht ihr Geschäft, sondern ein Erbe ihres Vorgängers und alt Bundesrats Ueli Maurer (72).
Dass die Ständeratskommission nun das Geschäft auf die nächste Legislatur verschoben hat, kommt Keller-Sutter gelegen. So hat sie Zeit, um das Stöckli noch davon abzubringen, der Steuererleichterung zuzustimmen. Gelingt ihr das nicht, droht ihr ein Abstimmungskampf. Denn Grünen-Präsident Balthasar Glättli (51) hat bereits mit dem Referendum gedroht.