Der Bund musste sich harsche Kritik anhören für seine Umsetzung der Russland-Sanktionen. So soll sich der russische Oligarch Andrei Melnitschenko (50) mit einem einfachen Trick vor den Sanktionen gedrückt haben: Er habe seine Firma einfach seiner Ehefrau überschrieben – und das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) habe sogar davon gewusst.
Dennoch die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat hat am Donnerstagmorgen weitere Verschärfungen abgelehnt: Es gibt keine Taskforce für die Sperrung von Vermögenswerten russischer Oligarchen, keine unabhängige Rohstoffmarktaufsichtsbehörde.
Ratslinke blieb letztlich chancenlos
Die Ratslinke lief mit ihren zwei Anliegen in der grossen Kammer auf. Die SP forderte namentlich die Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belarussischen Vermögenswerten in der Schweiz. Dies lehnte der Rat im Rahmen einer ausserordentlichen Session mit 103 zu 78 Stimmen bei 3 Enthaltungen ab.
Die Grünen wollten den Rohstoffhandel in der Schweiz stärker in die Pflicht nehmen und die gesetzlichen Grundlagen für eine unabhängige Marktaufsicht auf den Weg schicken. Diese Forderung scheiterte mit 103 zu 80 Stimmen bei einer Enthaltung. Gutgeheissen wurden die beiden Vorstösse jeweils von der SP, den Grünen sowie den Grünliberalen. Mitte, FDP und SVP stimmten dagegen.
Schweiz verhalte sich heuchlerisch
Die SP forderte in ihrer Motion die Wiederaufnahme und lückenlose Umsetzung der bestehenden und künftigen wirtschaftlichen und diplomatischen Sanktionen der EU gegen das Putin-Regime und dessen Verbündeten. Wie in anderen Ländern brauche es deshalb auch in der Schweiz dringend eine Taskforce. Diese könnte der Bundesanwaltschaft unterstellt werden. Die Schweiz habe sich bisher in dieser Frage heuchlerisch verhalten, warf Motionär Baptiste Hurni (36) den Behörden vor.
Es gebe allen Grund, anzunehmen, dass das Potenzial viel höher liege als die bisher blockierten 6,3 Milliarden Franken russischer Vermögen in der Schweiz, sagte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (34). Eine Meldepflicht reiche nicht, wenn sie so nachlässig umgesetzt werde wie durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Fall Melnitschenko.
Es werde überall im Dunkeln gestochert, bemängelte Jürg Grossen (52) namens der Grünliberalen Fraktion. Wegschauen statt mitdenken sei das Motto. Er erwarte vom Bundesrat mehr Leadership in dieser Angelegenheit. Die Finanzströme zur Finanzierung des russischen Krieges in der Ukraine müssten raschestmöglich abgestellt werden.
Bundesrat erkennt keinen dringenden Handlungsbedarf
Der Bundesrat verweist in seiner ablehnenden Antwort auf die beiden Vorstösse auf die gut eingespielten und effizienten Prozesse zwischen den Bundesbehörden und privaten Unternehmen. Die hohe Zahl an Meldungen und die auch im internationalen Vergleich hohe Summe an eingefrorenen Vermögenswerte zeigten, dass die Prozesse funktionierten, betonte Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) im Rat erneut. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Schaffung einer Taskforce deshalb nicht nötig.
Gleiches gelte für die Forderung der Grünen nach einer Rohstoffmarktaufsichtsbehörde, sagte Finanzminister Ueli Maurer (71). Der bestehende gesetzliche Rahmen trage den Risiken insgesamt angemessen Rechnung. Der Bundesrat verweist auf die entsprechenden Leitlinien des Privatsektors zur Bekämpfung der Korruption. Eine nationale Aufsicht in einem internationalen Bereich zu schaffen, bringe keinen Mehrwert.
Die Grünen begründeten ihren Vorstoss namentlich mit der Tatsache, dass rund 80 Prozent des russischen Erdöls über die Schweiz gehandelt werden. Der Ukraine-Krieg habe die enge Verflechtung des Rohstoffhandelsplatzes Schweiz mit autokratischen Regimes «auf tragische Weise erneut in den Blickpunkt gerückt». Das Fehlverhalten einzelner Firmen oder Personen könne zu Reputationsschäden für den Wirtschaftsstandort Schweiz führen.
Nur aus formalen Gründen abgelehnt
Sympathie für eine Taskforce zeigte bei den Bürgerlichen einzig die Mitte-Partei. Der Bundesrat bleibe bei der Umsetzung der Sanktionen zu passiv, kritisierte Fraktionschef Philipp Matthias Bregy. Aber: Vermögen einzuziehen gehe zu weit, das sei rechtsstaatlich falsch. «Aber: Wenn der Bundesrat nicht bereit ist, vorwärts zu machen, werden wir weitere Schritte unternehmen. Der Ball liegt beim Bundesrat.»
Die beiden Vorstösse seien an peinlichen Widersprüchen nicht zu überbieten, sagte SVP-Sprecher Gregor Rutz (49) an die Adresse der Ratslinken. Ausgerechnet jene Kreise, die sich über jede Diskriminierung beklagten, hätten kein Problem damit, Geld von nicht genehmen Personen einfach einzuziehen. Das werfe schon die Frage über deren Verständnis des Rechtsstaates auf.
FDP-Sprecher Beat Walti (53) erklärte, es bringe nichts, mit grossen Zahlen zu wirbeln und pauschale Vorhaltungen zu verbreiten. Regulatorische Hektik sei nicht angezeigt. Das bestehende Aufsichtskonzept sei durchaus tauglich.
Bisher 6,3 Milliarden Franken gesperrt
In der Schweiz sollen rund 200 Milliarden Franken von russischen Oligarchen liegen. Mitte Mai waren in der Schweiz Vermögenswerte von rund 6,3 Milliarden Franken sowie elf Liegenschaften gesperrt. Die Banken gehen laut Angaben des Seco proaktiv vor und sperren vorsorglich Vermögenswerte.
Es stehen seit längerem Forderungen im Raum, die Schweiz müsse proaktiver nach Vermögen von russischen Oligarchen suchen, die von den Sanktionen betroffen sind. Ende Mai hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, das Umgehen von Sanktionen EU-weit als Straftat zu definieren. Zudem sollen Regeln zur Vermögensabschöpfung und Beschlagnahmung verschärft werden.