Nachbarn anonym bei den Behörden anschwärzen
Kantone setzen auf umstrittenen Tierschutz-Pranger

Mitbürger anonym beim Staat verpfeifen: Kantone bieten für vermutete Tierschutzverstösse spezielle Meldestellen an – ohne Namenspflicht. Fördert der Staat das Denunziantentum? Oder bewahrt er Tiere vor Leid?
Publiziert: 25.01.2025 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 25.01.2025 um 12:23 Uhr
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In der Schweiz leben immer mehr Hunde, und das fordert auch die Spezialisten der Veterinärämter.
Foto: Imago

Auf einen Blick

  • Behörden ermöglichen anonyme Tierschutz-Meldungen mit speziellen Portalen
  • Einige Kantone fördern anonyme Hinweise, andere lehnen sie bewusst ab
  • SVP-Politiker warnt nach Bauernhof-Fall vor «Anschwärzungen»
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Katzen, die verwahrlost sind. Kühe, die zu wenig Futter bekommen. Hunde, die misshandelt werden: In solchen Fällen greift das Veterinäramt ein. Oft kommt die entscheidende Hilfe aus der Bevölkerung – durch Hinweise, die Missstände ans Licht bringen.

Doch diese Meldungen sind umstritten, vor allem, wenn sie ohne Namen eingehen. Einige Kantone akzeptieren anonyme Hinweise und werben sogar darum. Die Veterinärämter setzen auf Meldeportale, die Hinweise ohne Namensangabe ermöglichen.

Andere Kantone verzichten bewusst auf Tierschutz-Pranger. Ihre Devise: keine Hinweise ohne Absender! Anonymität öffne Tür und Tor für Denunzianten, lautet die Befürchtung. Meldungen seien schwieriger zu überprüfen. Falsche Anschuldigungen könnten folgenlos bleiben – sie treffen Tierbesitzer, die sich gegen haltlose Vorwürfe wehren müssen.

SVP-Politiker kritisiert Berner Meldestelle

Es ist ein schmaler Grat: Rollt der Staat Denunzianten den roten Teppich aus? Werden Bürgerinnen und Bürger mit Meldeportalen dazu animiert, ihre Mitmenschen zu verpetzen? Oder ist ein anonymer Hinweis immer noch besser, als wenn leidende Tiere auf einem Bauernhof oder in einer Wohnung unentdeckt bleiben?

In Bern sorgt das für eine Kontroverse. SVP-Grossrat Samuel Krähenbühl (47) kritisiert, dass in seinem Kanton die Meldungen anonym eingereicht werden können. Er warnt: Denunzianten könnten Tierhalter aus «niederen, persönlichen Motiven» anschwärzen.

Krähenbühl berichtet Blick von einem Fall aus seinem Umfeld. «Eine Bauernfamilie wurde anonym verpetzt, vermutlich von einer Wanderin. Als das Veterinäramt für eine Kontrolle aufkreuzte, stellten sich die Vorwürfe als völlig haltlos heraus», sagt er. Nicht zu wissen, wer einen beim Staat gemeldet habe, sei sehr belastend.

Deshalb wandte sich Krähenbühl mit einer Anfrage an den Berner Regierungsrat. Dieser will aber nicht auf anonyme Meldungen verzichten: Es entspreche «der Erwartung der Bevölkerung, dass Tierschutzmängel unkompliziert gemeldet werden können».

Anonyme Meldungen ermöglichten es auch Personen, die einem Tierhalter nahestehen, auf Mängel hinzuweisen. «Bewusste Falschmeldungen kommen dabei nicht häufig vor und können oft auch bereits aufgrund der Angaben im Meldeformular erkannt werden», betont die Regierung in ihrer Stellungnahme. In Bern erfolgten 2023 rund die Hälfte der Meldungen zu Heimtieren anonym, bei den Nutztieren war es rund ein Drittel.

Auch in Solothurn ist Petzen erwünscht. Die Behörden werben bei ihrer Meldestelle: «Eine Meldung kann auch anonym erstattet werden.» Solche Meldungen würden genauso sorgfältig geprüft wie die anderen, sagte Kantonstierärztin Chantal Ritter (57) vergangenes Jahr der «Solothurner Zeitung». «Jeder Hinweis und jede Vermutung wird mit dem gebotenen Augenmass angeschaut.» Zu den weiteren Veterinärämtern, die anonyme Meldungen entgegennehmen, gehören unter anderem Luzern und Waadt.

Anonymität unerwünscht – wirklich?

Brisant ist: Der Kanton Zürich weicht von seiner eigenen Linie ab. «Anonyme Meldungen werden nicht bearbeitet», steht auf dem Meldeformular des Veterinäramts. Zutreffend ist das jedoch nicht – die Zürcher wurden selbst verpetzt!

«Das Veterinäramt des Kantons Zürich kommuniziert zwar nach aussen, dass anonymen Meldungen nicht nachgegangen wird», schreibt die Berner Regierung in ihrer Stellungnahme. Die Meldungen würden trotzdem gesichtet. Bei «mutmasslicher Tierwohlgefährdung» gebe es Kontrollen.

Das Zürcher Veterinäramt bestätigt das auf Anfrage. Bestünden Hinweise auf eine erhebliche Gefährdung, werde man aktiv. «Die Praxis zeigt, dass durch das Sichten von anonymen Meldungen immer wieder Tiere aus Situationen, die ihr Wohl gefährden, befreit werden können», erklärt eine Sprecherin.

Für anonyme Hinweise sei die Hemmschwelle tiefer, gerade wenn die eigene Familie oder Nachbarn betroffen seien. Allerdings: «Die fehlende Möglichkeit für Rückfragen führt bei anonymen Meldungen zu einer geringeren Handlungsrate als bei namentlichen Meldungen.»

Sie sagen Nein zu anonymen Meldungen

Kein Pardon kennt hingegen Graubünden. Man gehe «grundsätzlich nicht auf anonyme Meldungen ein», hält das zuständige Amt fest. Denn die Daten des Melders seien Teil des Verfahrens, und er müsse für Rückfragen erreichbar sein. Die Behörden sichern jedoch zu, die Angaben so vertraulich wie möglich zu behandeln.

Auch weitere Kantone lehnen anonyme Meldungen explizit ab, darunter Basel-Stadt, Thurgau und Appenzell Ausserrhoden. Tatsächlich gelten Hinweise ohne Absender aus rechtsstaatlicher Sicht als heikel. Sie schränken das rechtliche Gehör ein. Betroffene sollten sich in einem fairen Verfahren auch zum Hinweisgeber äussern können – besonders nach falschen Anschuldigungen.

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