Nach dem Prämienschock
«Die Krankenkassen haben sich verschätzt»

Soll der Bund bei der Spitalplanung übernehmen? Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektoren-Konferenz, wehrt sich gegen die Entmachtung der Kantone – und lobt das Gesundheitwesen.
Publiziert: 01.10.2023 um 01:08 Uhr
|
Aktualisiert: 01.10.2023 um 15:41 Uhr
1/5
Der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger wehrt sich gegen eine Entmachtung der Kantone bei der Spitalplanung.
Foto: STEFAN BOHRER
Peter_Aeschlimann (bitte Fotos der ersten Box–Session komplett aus System löschen)_Redaktor SonntagsBlick _Ringier _3-Bearbeitet.jpg
Peter AeschlimannRedaktor

Jetzt wird es richtig teuer. Im Schnitt steigen die Krankenkassenprämien im nächsten Jahr um 8,7 Prozent. Vorschläge, wie das Kostenwachstum gebremst werden soll, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Jede Partei hat eine Lösung parat. Auch die Krankenkassen denken laut mit. Santésuisse-Präsident Martin Landolt (55) fordert in den Tamedia-Zeitungen, die Spitalplanung an den Bund zu delegieren. Bei den Kantonen kommt der Tabubruch gar nicht gut an. SonntagsBlick hat den Präsidenten der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) in seinem Büro in Basel getroffen.

Herr Engelberger, der Präsident des Krankenkassenverbandes Santésuisse möchte die Kantone bei der Spitalplanung entmachten. Wie kommt das bei Ihnen an?
Lukas Engelberger: Einfach mit dem Finger auf andere Akteure im Gesundheitssystem zu zeigen, scheint mir zu einfach. Die Krankenkassen haben sich in ihren Prognosen zu den Prämieneinnahmen grob verschätzt. Und sie haben schlechte Ergebnisse erzielt auf ihren Anlagen. Auch das hat mitunter dazu geführt, dass wir uns jetzt in diesem schwierigen Prämienherbst befinden.

Zum Prämienherbst gehört ebenso das Schwarzpeterspiel, das dann jeweils von neuem beginnt. Trifft die Kantone denn gar keine Schuld am Kostenwachstum?
Bei der Planung müssen wir besser werden und noch enger zusammenarbeiten. Fakt ist aber auch: Dort, wo die Kantone den Hebel ansetzen können, also insbesondere im stationären Spitalbereich, wachsen die Kosten im Jahresvergleich moderater als anderswo. Die Aussage des Santésuisse-Präsidenten, wonach wir uns überteuerte Spitäler leisteten, ist also nicht korrekt. Wir müssen gemeinsam im bestehenden System nach Lösungen suchen. Halb revolutionäre Ideen lehne ich ab.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Das letzte Wort hätte das Volk. Wie würden Sie die Initiative parieren?
Ich will dieser Diskussion nicht vorgreifen. Sicher ist: Es wäre ein radikaler Systemwechsel. Was heute selbstverständlich ist, müsste infrage gestellt werden. Die Kantone bezahlen mehr als die Hälfte der stationären Spitalbehandlungen. Weshalb sollten sie das weiterhin tun, wenn ihnen die Planung dafür entzogen wird? Auch das wäre dann Sache des Bundes.

Würden Sie es dem Bund überhaupt zutrauen, eine gute Spitalplanung vorzunehmen?
Heute ist der Bund ziemlich weit weg vom Alltag in der Gesundheitsversorgung. Er müsste Strukturen aufbauen und sich das Know-how zulegen – es wäre ein riesiger Systemumbau. Und dann stellen Sie sich vor, wie das bei der Bevölkerung in den Kantonen ankäme, wenn ein Bundesamt eines ihrer Spitäler schliessen würde. Das passt einfach nicht zu unserem direktdemokratischen System.

Persönlich

Lukas Engelberger (48) ist seit 2014 Regierungsrat von Basel-Stadt und Vorsteher des Gesundheitsdepartements. Der Mitte-Politiker arbeitete früher als Rechtskonsulent beim Basler Pharmagiganten Roche. Der Vater dreier Kinder ist seit 1. Juni 2020 Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK).

Lukas Engelberger (48) ist seit 2014 Regierungsrat von Basel-Stadt und Vorsteher des Gesundheitsdepartements. Der Mitte-Politiker arbeitete früher als Rechtskonsulent beim Basler Pharmagiganten Roche. Der Vater dreier Kinder ist seit 1. Juni 2020 Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK).

Niemand gibt gerne Macht ab. Hat die GDK einen Krisenstab eingerichtet?
Nein. Ich stelle bloss eine grosse Unruhe in der öffentlichen Diskussion fest. Jeder bringt jetzt seinen Ladenhüter wieder ins Schaufenster. Die Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren sind für eine schrittweise Verbesserung und gegen eine radikale Systemveränderung.

Weshalb kommt dieser Tabubruch der Versicherer gerade jetzt?
Die Versicherer fühlen sich unter Druck. Plötzlich wird wieder laut über eine Einheitskasse nachgedacht. Für die Krankenkassen ist das eine beunruhigende Perspektive.

Bund soll Kantone bei Spitalplanung entmachten
1:53
FDP-Nationalrätin Sauter:«Es braucht eine grossräumigere Planung»

Ist die von der SP geforderte Einheitskasse auch für die GDK ein sprichwörtlich rotes Tuch?
Wir haben uns da noch nicht auf eine Position geeinigt.

Wie lautet Ihre persönliche Meinung?
Ich bin sehr skeptisch, dass man mit so einem Systemumbau etwas erreichen kann. Die meisten dieser Vorschläge setzen bei der Finanzierung an. Dabei sind die Kosten die grosse Herausforderung. Die Menschen leben länger und beziehen länger Gesundheitsleistungen, die immer besser und oft auch teurer werden. Jetzt geht es darum, einen Weg zu finden, wie wir uns das nachhaltig leisten können.

«
«Der Bund ist ziemlich weit weg vom Alltag in der Gesundheitsversorgung.»
»

In St. Gallen stellen die Spitäler 440 Menschen auf die Strasse. Gibt es dort immer noch zu viele Spitäler?
In der ganzen Schweiz hat sich die finanzielle Situation der Spitäler deutlich verschlechtert. Wie alle Unternehmen sind sie von der Teuerung betroffen, insbesondere bei den Energiekosten. Aber auch im Personalbereich ist der Druck hoch. Es ist schwierig, überhaupt genügend Fachkräfte zu finden. Das zwingt zu Konzessionen gegenüber den Mitarbeitenden: Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen, die wiederum mehr Kosten verursachen. Auf der Einnahmenseite sind die Tarife dagegen starr. Es dauert, bis der Teuerungsschub der letzten Jahre abgebildet werden kann. Man wird diesen aber berücksichtigen müssen.

In Holland, wo doppelt so viele Menschen wie in der Schweiz leben, gibt es rund hundert Spitäler. Bei uns sind es dreimal so viele. Die Versicherer sagen, überflüssige Spitäler seien ein bedeutender Kostentreiber im Gesundheitswesen. Pflichten Sie dem bei?
Bei den stationären Behandlungen sieht man das im mehrjährigen Vergleich nicht. Nochmals: Die Versicherer machen es sich zu einfach. Die Anzahl der Spitäler ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, wie effizient die Spitäler organisiert sind. Die Schweiz ist nicht Holland. Wir haben eine andere Topografie, sind ein mehrsprachiges, föderalistisch organisiertes Land.

«
«Die finanzielle Situation der Spitäler hat sich verschlechtert.»
»

Die Gleichung ist aber klar: Wo das Angebot gross ist, werden mehr Gesundheitsleistungen konsumiert. Die Krankenkassenprämien sind dort am teuersten, wo es viele Ärzte gibt.
Die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft haben eine gemeinsame Spitalplanung. Dabei stellten wir fest, dass wir tatsächlich teilweise eine weit überdurchschnittliche Inanspruchnahme von gewissen medizinischen Behandlungen haben. Wir versuchten dann, die Leistungsaufträge einzuschränken. Das ist uns aber nur teilweise gelungen. Einzelne Massnahmen landeten vor Gericht. Es sind juristisch anspruchsvolle Verfahren, die sich nicht auf Knopfdruck erledigen lassen. Diese Erfahrung würde auch der Bund machen, wenn er die Spitalplanung übernehmen würde.

Benötigt es in der Schweiz wirklich zwölf Spitäler, die Bypassoperationen durchführen?
Man könnte das tatsächlich effizienter gestalten. Wir haben als Gesellschaft hohe Ansprüche an die Verfügbarkeit und an die Erreichbarkeit. Wir wollen rasch in einem Spital sein und keine langen Wartefristen. In Ländern mit einer stark kontrollierten Medizin warten die Patienten unter Umständen Monate oder Jahre auf eine Gelenkersatz-OP. Das macht das Gesundheitswesen günstig – aber ob es volkswirtschaftlich Sinn macht, ist eine andere Frage.

Wie lautet Ihre Antwort darauf?
Wer lange auf ein neues Hüftgelenk warten muss, hat Einschränkungen in seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit. Es ist deshalb auch unserem Gesundheitswesen zu verdanken, dass wir eine so hohe Produktivität haben in der Schweiz. Vergessen Sie nicht: Das Gesundheitswesen ist ein Standortfaktor! Würde man es zusammensparen, würde es gesamtwirtschaftlich betrachtet am Ende sogar teurer.

Das ungebremste Kostenwachstum führt aber dazu, dass etwa Forderungen nach einer Einheitskasse populärer werden. Dann drohten womöglich Verhältnisse wie in England.
Das stimmt, der Handlungsdruck steigt. Wir müssen uns jetzt zusammenraufen, um das Volumenwachstum einzudämmen, das ein Hauptkostentreiber ist.

«
«Qualität ist den Leuten wichtiger als der Kostenaspekt.»
»

Das Parlament schafft aber genau das nicht. Letzte Woche versenkte der Nationalrat Projekte, die gemäss Gesundheitsminister Berset am meisten Sparpotenzial geboten hätten.
Diese Geschäfte waren schon lange in Beratung und nehmen nicht urplötzlich eine andere Richtung. Die Vorentscheidungen in den Kommissionen und Fraktionen waren längst gefällt. Wir müssen vorwärtsschauen: Die Tarifpartner, Versicherer und Leistungserbringer sind jetzt gefordert, vernünftige Vereinbarungen zu treffen. Die GDK jeden-falls hat die Kostendämpfungs-Vorlage des Bundesrats grundsätzlich unterstützt.

Wir beklagen uns über die Prämienexplosion – und rennen wegen einer Bagatelle auf den Notfall. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Das ist zutiefst menschlich. Jede Jahreszeit kennt ihre spezifischen Sorgen. Im Oktober sind es die Krankenkassenprämien. Im Januar oder Februar, wenn die Spitäler voll sind mit Grippekranken, drehen sich die Sorgen um Kapazitäten: Habe ich ein Spitalbett, wenn ich eines benötige? Unter dem Strich sind den Leuten Versorgungssicherheit und Qualität immer noch wichtiger als der Kostenaspekt.

Und doch wird die Prämienlast für den Mittelstand jetzt kritisch.
Dieses Problem müssen wir ernst nehmen. Als Kantone stehen wir in der Verantwortung, mittels individueller Prämienverbilligungen für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Wir dürfen jene nicht hängenlassen, die in bescheidenen Verhältnissen leben.

«Ich finde die Krankenkasse kompliziert»
1:51
Prämienzahler sind gefrustet:«Ich finde die Krankenkasse kompliziert»
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?