Lange wurde er erwartet. Gestern Abend war es endlich so weit. Die sechsköpfige Taskforce der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) unter der Leitung des Neuenburger FDP-Ständerats Philippe Bauer (61) hat ihren Bericht zu den Corona-Leaks abgeliefert.
Die Fragen, die dabei im Zentrum standen: Was wusste Innenminister Alain Berset (51) über die Corona-Leaks? Wie sah es in anderen Departementen aus? Gefunden hat die Taskforce: nichts! Die Arbeitsgruppe hat in den von ihr ausgewerteten Medien 200 medial verbreitete Indiskretionen festgestellt. Entgegen anders lautender Beteuerungen wurde die Untersuchung aber nur in Bersets Innendepartement (EDI) geführt.
Keine Hinweise auf Urheber der Leaks
Die GPK stellt fest, dass verschiedene Medien besonders häufig über «klassifizierte Informationen» verfügten und darüber berichteten. Profitiert von den Indiskretionen hätten besonders die Ringier-Medien, zu denen der Blick gehört. Aber auch der «Tages-Anzeiger» habe viele Indiskretionen publiziert, sagte SVP-Nationalrat und GPK-Mitglied Thomas de Courten (57) an der kurzfristig einberufenen Medienkonferenz in Bern. Beide Verlage publizierten je 60 Artikel.
Doch die GPK konnte nicht feststellen, von welcher Stelle die Leaks ausgingen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung seien verschiedene Unterlagen bereits gelöscht oder nicht mehr vorhanden gewesen.
Die GPK hat somit keine Beweise dafür gefunden, dass Peter Lauener (53), der frühere Sprecher des Innendepartements, oder sein Chef Berset das Amtsgeheimnis verletzt oder Medien vorab Informationen gegeben haben, die zur Erstellung von Insider-Berichten führten.
«Sehr lückenhafte Quellenlage»
Der frühere Sonderermittler Peter Marti hatte untersucht, ob Lauener – womöglich im Auftrag von Bundesrat Berset –, bewusst Amtsgeheimnisverletzungen beging. Und zwar in dem er vorab Informationen an den CEO von Ringier, Marc Walder (58), weitergab, damit der Blick, der zu Ringier gehört, mit seiner Berichterstattung Druck auf den Gesamtbundesrat macht.
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Dass der Blick im Auftrag des EDI Berichterstattung betrieb, dafür fand die GPK keinerlei Beweise. Selbst nach zehn Monaten Untersuchungsarbeit der GPK konnte man dies nicht erhärten. Dafür wurden der gesamte Bundesrat, der Bundeskanzler und mehrere Angestellte befragt. Aufgrund der «sehr lückenhaften Quellenlage» hätten die Untersuchungsfragen allerdings nicht abschliessend beantwortet werden können, heisst es im Bericht.
Die GPK hat aufgrund ihrer Untersuchung neuen Empfehlungen ausgearbeitet, unter anderem zu Regelungen von Hintergrundgesprächen, Löschfristen von Mails und Bundesratsprotokollen. Der Bundesrat muss dazu bis Februar 2024 Stellung nehmen.
Im Vorfeld machte die GPK ein grosses Geheimnis um den Bericht. GPK-Mitglieder erzählten, sie erhielten noch am Donnerstag Bescheid, sie dürften nicht einmal bestätigen, dass es am Freitag eine Sitzung der GPK gebe – obwohl dieser Termin im Internet abrufbar war.
Berset wehrt sich gegen GPK-Kritik
Nach der Medienkonferenz bezog Bersets EDI Stellung zum Bericht. Trotz der Analyse von über 10'000 E-Mails seien keine Hinweise auf vorzeitige Berichterstattung zu vertraulichen Bundesratsgeschäften gefunden worden.
Die Kontakte zwischen Verwaltung und Akteuren seien entscheidend für staatliches Handeln, betonte das Departement. Diese hätten keinen Einfluss auf die Medienberichterstattung gehabt. Der regelmässige Austausch mit Ringier-CEO Walder habe sich auf Projekte wie etwa das Covid-Zertifikat bezogen.
Kritik äusserte das Departement an der Einseitigkeit des Berichts. Diese könne die Gewaltenteilung beeinträchtigen und zu Vorverurteilungen führen.
Der Ticker zum Nachlesen:
Berset nimmt Stellung
Kurz nach dem Ende der Medienkonferenz nimmt das Innendepartement um Alain Berset auf der Homepage zum Bericht ausführlich Stellung:
Trotz einer vertieften Analyse von über 10'000 E-Mails des Innendepartements gäbe es keine Hinweise darauf, dass darin erhaltene Informationen zu einer Vorabberichterstattung über vertrauliche Bundesratsgeschäfte geführt hätten.
Die Kontakte zwischen der Verwaltung und verschiedenen Akteuren seien für das staatliche Handeln zentral, «in der Bewältigung einer Krise sind sie entscheidend». So könnte sichergestellt werden, dass die Massnahmen umsetzbar seien. «Bei diesen Kontakten ist jeweils auf die Vertraulichkeit hingewiesen und damit sichergestellt worden, dass der Kontakt keinen Eingang in die mediale Berichterstattung fand.» Die Zusammenarbeit mit externen Akteuren entspräche der normalen Praxis der Bundesverwaltung.
Der Bericht zeige, dass die regelmässigen Kontakte zwischen dem EDI und dem CEO von Ringier in den Kontext von dessen Unterstützungsbereitschaft gehörte – zum Beispiel beim Covid-Zertifikat. «Solche Projekte waren der Grund für die regelmässigen Kontakte.»
Der Bericht zeige, dass der Bundesrat verschiedene Massnahmen ergriffen habe, schreibt das Innendepartement. Jedoch schreibt die GPK in ihrer Mitteilung, es sei nur beschränkt nachvollziehbar, dass Berset im Wissen um die zahlreichen Leaks zu Geschäften des Innendepartements keine spezifischen Massnahmen in seinem Departement ergriffen habe.
Bersets Innendepartement schreibt zudem, es wäre nur angezeigt gewesen, die Untersuchung auf andere Quellen von Indiskretionen auszuweiten. «Die Herausgabe von Mails des Bundespräsidenten über eine Zeitspanne von 29 Monaten wurde als verhältnismässig angesehen. Im Gegenzug erachteten die GPK gezielte Untersuchungen beim Rest der Bundesverwaltung als unverhältnismässig», merkt sie an.
Das Innendepartement kritisiert den Bericht weiter: Er fokussiere einseitig auf den ehemaligen Kommunikationschef des EDI. «Der Bericht hat somit einen möglichen Einfluss auf das Strafverfahren und verletzt damit potenziell das Prinzip der Gewaltenteilung.» Damit werde die Vorverurteilung des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI fortgeschrieben, ohne dass dies eingeordnet wird.
Auch zur Löschung der privaten Mail des ehemaligen Kommunikationschef nimmt das Innendepartement Stellung: «Dessen Inhalt hat nicht er, sondern die Swisscom gelöscht. Es handelt sich umso mehr nicht um einen Vertuschungsversuch» Die Mails seien bereits von einem ausserordentlichen Staatsanwalt sichergestellt – momentan jedoch versiegelt.
Medienkonferenz beendet
Damit ist die Medienkonferenz beendet.
Aufruf zum Leak
Im Bericht findet sich ein Beispiel, dass ein Mitarbeiter des Innendepartements in einem Mail zu einer Verordnung geschrieben hat: «Wir sollten das leaken». Es gäbe aber keine Hinweise dafür, dass diese E-Mail kausal ursächlich für die mediale Berichterstattung gewesen sei.
Michel sagt, man gehe nicht von einer «Kultur des Leakens» im Innendepartement aus.
Codes des ehemaligen Kommunikationschef
Der ehemalige Kommunikationschef habe Mails vom Geschäft an seine private E-Mail-Adresse mit verschiedenen Codes versehen. «Der ehemalige Kommunikationschef des EDIäusserte sich anlässlich seiner Anhörung nicht zum Grund,weshalb er diese Nachrichten an seine private Adresse geschickt hat», heisst es im Bericht.
Für die GPK sei es nicht nachvollziehbar, warum die Mails an die private Adresse geschickt hat.
Vertrauen hergestellt?
Thema ist das Vertrauen im Bundesrat: In einer Sitzung habe der Bundesrat gesagt, man habe das Vertrauen innerhalb des Gremiums wiederhergestellt. Doch offenbar gibt es auch nach der Sitzung Zweifel, ob das Vertrauen im Bundesrat tatsächlich wiederhergestellt war.
Kanzler und Bundesräte befragt
Man habe die Bundesräte befragt, die während der Pandemie im Amt waren, dazu auch Kanzler und Vizekanzler.
Diskussionen über Wertungen
In der Kommission habe es Diskussionen über die Wertungen gegeben. So sei diskutiert worden, ob der Fokus zu sehr auf das Innendepartement gelegen habe, nennt Birrer-Heimo als Beispiel. Man habe aber die Argumente gehört.
Die Empfehlungen seien einstimmig erfolgt. «Eigentlich sollte man nicht an das höchste Gremium neun solche Empfehlungen machen, aber die GPK macht das jetzt und wir sind gespannt auf die Antwort», sagt Birrer-Heimo.
De Courten: «Nicht frustriert»
Thomas de Courten sagt er sei nicht frustriert. Er hätte nicht gewusst, dass die Leaks solch einen Einfluss auf die Arbeit des Bundesrates habe. Niemand im Bundesrat habe sich durchgesetzt, um die Indiskretionen zu verhindern.
Resignation im Bundesrat
Im Bundesrat habe eine Resignation wegen der Indiskretionen geherrscht, schreibt die GPK im Bericht.
Bundesrat hat Bericht erhalten
Der Bundesrat habe den Bericht heute Nachmittag erhalten, sagt Prisca Birrer-Heimo. Erst danach wurden die Medien informiert. «Es war schlicht nicht früher möglich.»