Lisa Mazzone über ihr Scheitern im Herbst und warum sie trotzdem Grünen-Chefin werden will
«Es war ziemlich brutal, das kann ich schon sagen»

Schock für die Überfliegerin: Im Herbst wurde die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone überraschend nicht wiedergewählt. Was das Scheitern in ihr auslöste und warum sie jetzt trotzdem Präsidentin der Grünen wird.
Publiziert: 25.03.2024 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 26.03.2024 um 16:25 Uhr
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Sie soll ihn ablösen: Lisa Mazzone mit Grünen-Präsident Balthasar Glättli.
Foto: keystone-sda.ch
Lynn Scheurer
Lynn Scheurer
Schweizer Illustrierte

Bei ihrer Nicht-Wiederwahl in den Ständerat kam sich Lisa Mazzone (36) wohl vor wie im falschen Film – der Schock und das Erstaunen waren ihr am 12. November 2023 deutlich anzusehen. Da passt es, dass wir sie in Genf im Café eines Kinos treffen. Gestärkt von einem Ingwertee, scheint die Ex-Ständerätin bereit für ein neues Kapitel als neue Präsidentin der Schweizer Grünen.

Blick: Lisa Mazzone, darf man schon gratulieren?
Lisa Mazzone: Die Delegierten müssen mich am 6. April noch wählen, aber ich bin zuversichtlich. Dass es keine andere Kandidatur für das Präsidium gab, macht die Verantwortung für mich umso grösser.

Haben alle anderen aus Mitleid mit Ihnen auf eine Kandidatur verzichtet?
Nein. Wir sind in der Politik – da ist Mitleid kein entscheidender Faktor.

Die Grünen sind doch sehr sozial.
Das stimmt. Die Grünen sind auch weniger machtorientiert als andere Parteien. Aber auch bei uns erhält jemand aufgrund seiner Kompetenzen ein Amt – und nicht aus Mitleid.

Wie fühlten Sie sich nach Ihrer gescheiterten Wiederwahl im letzten Herbst?
(Lacht.) Es war ziemlich brutal, das kann ich schon sagen! Es hat mich getroffen, und es war schmerzhaft, weil es um einen Teil meiner Identität ging.

Sie hatten nicht damit gerechnet?
Mit so etwas muss man immer rechnen. Nach dem ersten Schock habe ich dennoch die Kraft gefunden, wieder aufzustehen. Und seither fühle ich mich auch gestärkt.

Sind Sie zum ersten Mal gescheitert?
Nein.

Sie galten doch immer als Überfliegerin, der schon in jungen Jahren alles gelang.
Es war ein Bruch, das stimmt. Ich habe viel investiert und mein Amt als Ständerätin mit Leidenschaft ausgeführt. Aber das Leben geht – gerade als Grüne – nie einfach nur geradeaus.

Die Grünen sind Scheitern gewohnt?
So würde ich das nicht sagen, aber natürlich gewinnen wir nicht jede Abstimmung. Als Grüne bin ich gewohnt, durchzuhalten. Sei es beim Atomausstieg, bei der Ehe für alle oder bei den erneuerbaren Energien. Dass ich nicht wiedergewählt wurde, hat mich auch daran erinnert, dass ich gar nie eine Politkarriere geplant hatte.

Moment! Als Teenager haben Sie in Versoix ein Jugendparlament gegründet.
Weil ich mich für meine Werte einsetzen wollte. Dass ich mal Ständerätin werden würde, hätte ich damals nie gedacht.

Nach Ihrer Abwahl sagten Sie: Jetzt ist das Korsett eines politischen Amts weg. Warum haben Sie nicht den Beruf gewechselt?
Es haben sich plötzlich sehr viele Möglichkeiten aufgetan. Ich hatte Angebote aus verschiedenen Bereichen und habe mir alles gut überlegt.

Zum Beispiel?
Das sage ich nicht. Aber für mich war klar, dass ich nicht vier Jahre lang herumsitzen und auf den nächsten Wahlherbst warten will.

Jetzt sind Sie aber schon wieder im politischen Korsett gelandet.
Nicht wirklich. Ich werde als Präsidentin der Grünen weiterhin Politik machen, aber ohne parlamentarisches Amt. Das ist nicht dieselbe Arbeit.

Sind Sie süchtig nach Politik?
Das glaube ich nicht. Vielleicht bin ich süchtig nach Engagement. Meine Überzeugungen sind mir am Wichtigsten. Und als Balthasar Glättli sein Amt als Parteipräsident zur Verfügung stellte, gab es plötzlich diese Möglichkeit.

Ziehen Sie nach Bern, wenn Sie Präsidentin der Grünen sind?
Nein, ich bleibe in Genf, in meiner Stadt. Meine Kinder gehen hier in die Kita und zur Schule. Hier habe ich Freunde, die nicht in der Politik sind und mit denen ich über anderes sprechen kann.

Sind Sie damit nicht zu weit weg vom Rest der Schweiz?
Genf ist ebenso die Schweiz wie Bern. Ich habe mit meiner Familie drei Jahre lang einen Teil der Woche in Bern verbracht, und ich finde, dass dort manchmal der Bezug zur Aussenwelt fehlt. Als Politikerin trifft man sich in Bern vor allem mit anderen Politikern.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Sie werden als Präsidentin kein Amt im Bundeshaus haben. Wie soll das gehen?
Es gibt mir die Gelegenheit, meine ganze Kraft für die Stärkung der Partei und den Dialog mit allen Menschen einzusetzen, die den ökologischen Wandel zur Realität machen.

Was ist mit den Diskussionen in den Kommissionen? Sie bleiben aussen vor.
Das macht mir keine Sorgen. Ich habe einen guten Draht zur Fraktion und zu Fraktionspräsidentin Aline Trede. Ich kenne das Parlament und die Verwaltung. Bern ist kein Geheimklub.

Was ist mit dem Fraktionsgeheimnis? Das gilt doch auch für Sie, oder?
Die Fraktion darf Gäste einladen sowie Mitarbeiter. Ich werde an Fraktionssitzungen teilnehmen, und dort wird es so wie früher sein: Man weiss, was man nicht weitererzählen darf.

Trotzdem wollen Sie bei den Wahlen 2027 wieder in den Nationalrat, oder?
Diese Entscheidung treffe ich später.

Reicht das Amt als Präsidentin für Ihren Lebensunterhalt, oder werden Sie noch andere Mandate übernehmen?
Das Präsidium wird meine Haupttätigkeit sein, und die Grünen stehen für eine angemessene Entschädigung der politischen Arbeit. Aber ich werde gewisse Engagements fortsetzen, mehrheitlich ehrenamtlich.

Warum teilen Sie das Präsidium nicht mit jemandem aus der Deutschschweiz?
Politik wird vor allem in der Deutschschweiz gemacht. Ich möchte als Genferin ein Gegengewicht setzen und die Verantwortung ganz übernehmen.

Sie haben zwei Söhne. Welche Parallelen gibt es zwischen Kindererziehung und Politik?
Schlaflose Nächte (lacht). Beides erfordert, dass man manchmal sehr viel liefern und grosse Verantwortung tragen muss.

Müssen Sie die Wähler erziehen? Etwa beim Klimawandel?
Nein. Schauen Sie sich die Umfragen an: Der Klimawandel macht den Menschen weiterhin Sorgen. Hier in Genf haben wir im Sommer teilweise 39 Grad. Und auch die Bauern im Umland spüren deutlich, dass sich etwas ändern muss.

Warum können die Grünen diese Sorgen nicht zum Wahlerfolg nutzen?
Weil wir den Leuten noch deutlicher zeigen müssen, dass die Lösungen gegen den Klimawandel Chancen bieten. Zum Beispiel, dass die erneuerbaren Energien eine Chance für die lokale Wirtschaft sind.

Wie sehr haben die Klimakleber den Grünen geschadet?
Es ist schade, wenn eine Zeitung zwei Seiten für die Klimakleber verwendet und eine Spalte für die möglichen Lösungen gegen den Klimawandel.

Was möchten Sie als Präsidentin erreichen?
Ich möchte die Breite der Grünen zeigen – von Genf bis zum Sarganserland. Wir machen einen Unterschied und bringen Lösungen für eine bessere Zukunft. Das muss man spüren. Seit unserem Wahlerfolg 2019 haben wir uns so auf die parlamentarische Arbeit konzentriert, dass wir manchmal ein wenig den Bezug zu den Wählern verloren haben – das will ich ändern. Wir sind in einer entscheidenden Phase. Klima, Umwelt, Rechtspopulismus – all das zeigt: Es braucht uns Grüne!

Haben Sie bei sich zu Hause eigentlich Solarzellen auf dem Dach?
Ich bin Stockwerkeigentümerin und daran, die anderen Eigentümer zu überzeugen. Es wäre einfacher, wenn es einen gesetzlichen Rahmen und Fristen gäbe, aber ich werde es auch so schaffen.

Werden Sie die erste grüne Bundesrätin?
Nun ja, jetzt habe ich ja erst gerade eine Wahl verloren! (Lacht.) Ich möchte Präsidentin der Grünen werden. Das ist mein Ziel. Natürlich ist man nach einer Niederlage, wie ich sie erlebt habe, erst einmal verletzlich. Aber meine Überzeugungen motivieren mich. Deshalb sage ich mir selbst und anderen: Verliert den Mut nicht und macht weiter!

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