Es war fast schon ein Trauerspiel: Das lange Seilziehen um einen Mieterlass für die wegen der Corona-Pandemie geschlossenen Geschäfte wie etwa Restaurants, Kleiderläden oder Coiffeursalons. Nachdem sich der Bundesrat vehement gegen eine Lösung gewehrt hatte, musste das Parlament ein Machtwort sprechen.
Der Kompromiss: Für Geschäftsmieten bis monatlich 20'000 Franken sollen die Mieter für die Zeit während der Zwangsschliessung nur 40 Prozent der Miete bezahlen müssen. Die Vermieter übernehmen die restlichen 60 Prozent. Für Gesundheitseinrichtungen wie Spitäler oder Arztpraxen, die ihren Betrieb einschränken mussten, gilt der Mieterlass für maximal zwei Monate. Für Härtefälle auf Vermieter-Seite wird ein Härtefallfonds mit 20 Millionen Franken geäufnet.
Bundesrat entscheidet am Freitag
In der Vernehmlassung stiessen die verschiedenen Interessen nochmals scharf aufeinander. Der Hauseigentümer-Verband lehnt das Gesetz als «willkürlich und völlig unverhältnismässig» rundweg ab. Umgekehrt begrüssten Gastrosuisse oder Mieterverband die Stossrichtung.
Am Freitag ist das Geschäftsmiete-Gesetz im Bundesrat traktandiert – und dürfte kaum grosse Veränderungen an der Vernehmlassungsvorlage vornehmen. Der zuständige SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) muss die Vorlage zähneknirschend ins Parlament bringen.
Hunderte Millionen für Mietzinszuschüsse
Dabei hatte der Parmelins Departement während des Lockdowns selber noch verschiedene Optionen für eine Lösung diskutiert, wie ein Aussprachepapier-Entwurf vom April zeigt, der BLICK vorliegt. Das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO), welches dem Wirtschaftsdepartement untersteht, hatte verschiedene Varianten ausgearbeitet.
Dringlicher Appell Mit einem dringlichen Aufruf an die Mietparteien, sich auf einvernehmliche Lösungen wie Stundung oder teilweisen Mieterlass zu einigen, sollte der Bundesrat die Streithähne zur Räson bringen. «Selbst in ausserordentlichen Lagen sollte der Bundesrat auf Eingriffe verzichten, ausser es gibt keine Alternativen», so die Argumentation. Allerdings wird im Papier auch gleich auf einen gewichtigen Nachteil aufmerksam gemacht: «In ein Mietverhältnis sitzt die Mieterseite meist am kürzeren Hebel.» In der Corona-Krise gelte dies erst recht. Und: «Vielfach braucht es staatlichen Druck, damit Lösungen möglich werden.»
Bundes-Zustupf als Anreiz Das BWO machte sich auch Gedanken über mögliche Anreiz-Modelle, die ein «Burden sharing» – also eine Lastenteilung – ermöglichen sollten, bei welchem «die Vertragsparteien und, je nach Ausgestaltung, der Bund sowie allenfalls Kantone und Gemeinden einen Teil der Mietkosten tragen». Damit sollten einvernehmliche Lösungen in Form von A-fonds-perdu-Beiträgen unterstützt werden – wobei die der finanzielle Aufwand der öffentlichen Hand grob auf «200 bis 300 Millionen Franken für eine zweimonatige Dauer dieser Unterstützungsmassnahme» geschätzt wurde. Allerdings äusserte das Amt die Befürchtung, dass die Mietzinszuschüsse einen «Präzedenzfall für weitere A-fonds-perdu-Massnahmen» öffnen würden.
Notrechtliche Mietzinssenkung Auch eine vom Bundesrat notrechtlich verordnete Mietzinssenkung – «beispielsweise 50 Prozent» – verbunden mit einer teilweisen finanziellen Kompensation für Vermieter brachte das Bundesamt aufs Tapet. Damit würde Rechtssicherheit geschaffen und das Risiko einer Prozesslawine verringert, strich es als Vorteil hervor. Um aber auch gleich vor dieser Option zu warnen, da die Notwendigkeit für einen derart weitgehenden Eingriff aktuell nicht gegeben sei. «Wenn der Bundesrat eine Mietzinssenkung verordnet, übernimmt er gewissermassen eine richterliche Rolle», heisst es im Papier. «Dies ist staatsrechtlich nicht zu vertreten.»
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Bundesamt blitzte ab
Das Bundesamt für Wohnungswesen plädierte für einen Mix der ersten beiden Varianten. Gleichzeitig mit dem dringlichen Appell an die Mietparteien sollte der Bundesrat dem BWO zusammen mit weiteren Ämtern den Auftrag erteilen, «ein auf Anreizen basierendes Konzept für individuell angepasste Lösungen im Bereich der Geschäftsmieten zu prüfen».
In der Ämterkonsultation wurde das BWO aber zurückgebunden – auch aus dem eigenen Departement. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) stellte sich gegen ein Anreizsystem. Es zweifelte daran, «dass eine Lösung ohne Fehlanreize möglich ist».
Auch Parmelins Generalsekretariat vermochte sich nicht für den Vorschlag zu erwärmen. «Eventuell auf Option 2 ganz verzichten», lautete die Anmerkung. Stattdessen solle ein ergänzender Antrag formuliert werden: «Entwicklung der Geschäftsmieten zu beobachten und Fehlentwicklungen zu vermeiden.»
Maurer wollte zuwarten
Vehemente Ablehnung kam aus Ueli Maurers (69) Finanzdepartement. «Prüfungsauftrag erfolgt zu früh», monierte die Finanzverwaltung in ihrer Stellungnahme. Ein solcher solle «erst bei längeren Schliessungen erteilt werden» – etwa aber einer Schliessungsdauer von mehr als drei Monaten.
Und das Bundesamt für Justiz meinte: «Im Vordergrund soll nicht das finanzielle Anreizsystem stehen.» Weitere Massnahme könne man aber durchaus prüfen.
Abgespeckte Variante
So ging Wirtschaftsminister Guy Parmelin Anfang April schliesslich mit einem abgespeckten Antrag in den Bundesrat. Neben dem Appell sollten «weitere Massnahmen für individuell angepasste Lösungen und Härtefallregelungen» geprüft werden – von einem Anreizsystem war aber nicht mehr direkt die Rede.
Soweit die Dokumente, welche BLICK gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat. Gegenüber BLICK will BWO-Direktor Martin Tschirren aber betont wissen, dass es zwischen seinem Bundesamt und Bundesrat Parmelin keine Differenzen gegeben habe. «Im Vorfeld des Bundesratsentscheids vom 8. April 2020 ging es darum, verschiedene Lösungsansätze zu entwickeln», so Tschirren.
Es gehöre zum Meinungsbildungsprozess, diese dann zu diskutieren und dabei zu prüfen, ob sie realistisch und mehrheitsfähig seien. «Dass in diesem Prozess die ursprünglichen Ideen revidiert, justiert und vielleicht auch abgespeckt werden, ist völlig normal», so Tschirren. «Das BWO wurde in diesem Prozess vom WBF in keiner Weise zurückgebunden. Im Gegenteil – die Zusammenarbeit war stets konstruktiv und einvernehmlich.»
Gesamtbundesrat schwächte noch weiter ab
Klar ist jedenfalls: Parmelins Kollegen schwächten den Beschluss noch weiter ab. Es blieb beim lauen Appell – und einem Auftrag für ein Geschäftsmieten-Monitoring.
Was dem Parlament aber nicht reichte. So ist das neue Gesetz nun für die Sondersession des Nationalrats Ende Oktober traktandiert. Ob es die Vorlage aber noch einmal durchs Parlament schafft, ist offen – denn der Deal steht weiterhin auf wackligen Füssen.