Es gibt Gesetze, die gelten. Und dann gibt es solche, die gelten ein bisschen weniger. Zum Beispiel der Schutz von Bächen und Flüssen: Wenn Bauern mehr Dünger ausbringen, als die Erde aufnehmen kann, landet schädliches Nitrat im Wasser. Doch wenn es um den Gewässerschutz geht, setzen die Kantone das Bundesrecht nur zögerlich um – und das seit 25 Jahren.
Das Resultat dieser Arbeitsverweigerung: hohe Rückstände von Pestiziden und Nitrat – das als potenziell krebserregend gilt – im Grundwasser. Das geht nicht, fand der Nationalrat diese Woche. Der Bund soll den Kantonen eine Frist für die Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen Massnahmen setzen.
Der Nationalrat als Retter? Nicht ganz. Schon nächste Woche dürften SVP, FDP und Mitte einen Vorstoss annehmen, der den Schutz der Gewässer wieder abschwächen will. Dabei geht es um den indirekten Gegenvorschlag zur Trinkwasser- und zur Pestizid-Initiative.
Umweltziele werden nicht erfüllt
Beide Initiativen bekämpfte der Bauernverband mit einer millionenschweren Kampagne – und dem Hinweis, man gehe das Pestizid-Problem ohnehin durch den indirekten Gegenvorschlag an. Das kam beim Stimmvolk an. Es lehnte die beiden Agrar-Initiativen deutlich ab.
Doch just dieser indirekte Gegenvorschlag wird nun erneut zum Gegenstand politischer Machtkämpfe. Wieder geht es um die Frage der Überdüngung, genauer: um unkontrollierte Stickstoffverluste. Darum also, dass ein Teil des Düngers etwa vom Regen ausgewaschen wird und damit als Nitrat im Grundwasser landet. Laut Verordnung soll dieser überschüssige Stickstoff um 20 Prozent reduziert werden. Genau diesen Passus wollen die Bürgerlichen nun wieder streichen. Widerstand kommt von Grünen, SP und Grünliberalen.
Für GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (43) ist die Reduktion der Düngerabdrift um 20 Prozent bis 2030 «das absolute Minimum». Sie verweist darauf, dass eigentlich eine Abnahme um 30 Prozent nötig wäre, um die Umweltziele in der Landwirtschaft zu erfüllen.
Reduktion der Dünger-Verluste unrealistisch
«Im Abstimmungskampf sagte Bauernverbandspräsident Ritter, die Schweiz erhalte bei einem Nein das strengste Pestizid-Gesetz Europas», erinnert Bertschy. Es sei «unlauter» und «demokratisch problematisch», wenn der Bauernverband im Verbund mit den Bürgerlichen diese Ziele wieder infrage stelle.
Der angesprochene Markus Ritter (55), Präsident des Bauernverbands, lässt Bertschys Darstellung nicht gelten. Er verweist auf die Vorgeschichte – ein veritables Hickhack zwischen Bundesrat und Parlament. Ursprünglich hatte die Regierung das 20-Prozent-Ziel im Februar 2020 eingebracht. Unter dem Einfluss des Bauernverbands strich das Parlament die Zahl im Herbst 2020 wieder aus der Vorlage. Als der Bundesrat im Mai 2021 die Vernehmlassung zum indirekten Gegenvorschlag veröffentlichte, war sie erneut drin. Und nun soll sie, geht es nach dem Willen des Bauernverbands, wieder raus.
Laut dem Bauern-Chef ist eine Reduktion der Dünger-Verluste um 20 Prozent «schlicht unrealistisch». Ritter: «Um das zu erreichen, müssten wir in der Schweiz massiv weniger Kühe, Hühner und Schweine halten.» Nur so lasse sich die Düngermenge entsprechend reduzieren. Doch eine Reduktion des Tierbestands widerspreche dem Willen von Politik und Bevölkerung: «Das würde nur zu mehr Fleischimporten führen.»
Bleibt die Frage: Ist es möglich, den überschüssigen Stickstoff um 20 Prozent zu reduzieren? «Theoretisch» ja, heisst es bei Agroscope, dem Bundeszentrum für landwirtschaftliche Forschung. Gewisse Bauern müssten ihre Dünger-Verluste allerdings um mehr als 20 Prozent senken, da nicht alle Betriebe dieses Ziel erfüllen können.
Sicher ist: Für die Bauern ist die Herausforderung riesig. Bei einem Weiter-wie-gewohnt jedoch ist der Schaden für die Natur immens.