Wir treffen Kurt Brunner (58) und Nik Junker (30) auf neutralem Boden in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs. Für den Schlagabtausch zur Initiative gegen Massentierhaltung ist Brunner aus Hallwil im Kanton Aargau angereist, Junker aus dem zürcherischen Mettmenstetten.
Herr Brunner, Sie werden am 25. September ein Ja einlegen zur Initiative gegen Massentierhaltung. Warum?
Kurt Brunner: Weil ich überzeugt bin, dass unsere Landwirtschaft wieder lokaler werden muss. Wir importieren tonnenweise Futtermittel, damit wir die vielen Tiere hierzulande überhaupt ernähren können. Das ist für mich keine bäuerliche Landwirtschaft mehr, sondern eine industrielle. Ich käme nie auf die Idee, 18'000 Hühner zu halten. Das ist jenseits.
Nik Junker: Wir haben uns mit unserem Betrieb dieser sogenannten industriellen Produktion verschrieben und züchten Schweine. Damit helfen wir, die Nachfrage nach Schweinefleisch zu decken. Trotzdem sind auch bei uns die Nähe zum Tier und das Tierwohl absolut gegeben. Aus meiner Sicht braucht es die Initiative nicht. Der Konsument hat schon heute die Wahl, was die Produktionsformen angeht. Und was passiert? Grossmehrheitlich greifen die Leute im Laden zu den günstigsten Produkten. Solange sich das nicht ändert, können wir auch keine solche Wende machen, wie sie den Initianten vorschwebt.
Kurt Brunner: Aber genau deswegen finde ich diese Initiative so wichtig. Dank ihr können wir jetzt über die Produktionsweisen von tierischen Erzeugnissen und deren Folgen sprechen. Ich finde es schade, dass vielen Menschen das Bewusstsein dafür fehlt. Wir müssen den Konsumierenden klarmachen, dass wir ganz dringend viel weniger Tierisches essen sollten. Vor allem – sorry! – Schweinefleisch, Poulet und Eierprodukte.
Warum?
Kurt Brunner: Diese Tiere essen dasselbe, was wir Menschen auch essen könnten. Darüber müssen wir unbedingt reden, gerade wenn man von Hungersnöten und Lebensmittelkrise spricht. Und ein Grossteil dessen, was wir unseren Schweinen und Hühnern verfüttern, wird importiert, beim Federvieh sind es 86 Prozent. Das hat nichts mehr mit uns hiesigen Bauern zu tun. Das kommt von irgendwoher, etwa aus Brasilien, wo der Regenwald dafür zerstört wird.
Nik Junker: Die Futtermittelimporte, die du ansprichst, werden im Initiativtext der Vorlage aber ausser Acht gelassen. Und was aus meiner Sicht zu wenig betont wird: Die Importe werden nach wie vor kommen, aus jeglichen Standards und Ländern. Das hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme festgehalten. Wir haben nun mal Handelsverträge, die wir einhalten müssen. Das bedeutet, dass bei einer Annahme der Initiative die Preisschere zwischen unseren sehr gut produzierten Erzeugnissen und den importierten noch grösser wird und noch mehr Leute auf billige Importware zurückgreifen werden. Das Leid der Tiere würde bei einer Annahme der Initiative steigen!
Sie lehnen die Initiative dem Tierwohl zuliebe ab?
Nik Junker: Definitiv. Wir müssen das, was wir hier produzieren können, auch hier produzieren. Viel lieber importiere ich zertifiziert nachhaltiges Sojaschrot, das als Nebenprodukt bei der Gewinnung von Sojaöl anfällt, und veredle es hier unter besten Bedingungen und mit bestem Wissen und Gewissen zu hochwertigem Fleisch, als dass wir noch mehr Fleisch aus fragwürdiger Produktion importieren. Wir haben hier das strengste Tierschutzgesetz der Welt.
Kurt Brunner: Aber das kommt auch nicht von ungefähr. Mein Onkel etwa hielt vor nicht allzu langer Zeit 12 000 Hühner in einem Raum, in Batteriehaltung, meinem Vater hat man noch in den 70er-Jahren von offizieller Seite her geraten, seine Muttersauen anzubinden. So etwas können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Hätte es aber damals keine Extremisten gegeben, die das angeprangert hätten, wäre nichts gegangen. Auch darum sehe ich die Initiative als Chance. Ich sympathisiere generell mit allen Möglichkeiten, kritisch über unsere Landwirtschaft zu sprechen. Ausserdem fehlt mir in landwirtschaftlichen Kreisen eine breite Diskussion über Ökologie. Die Massentierhaltungs-Initiative kommt ja auch eher aus urbanen Kreisen. Deren Argumente kann ich sehr gut nachvollziehen, für viele Bauern haben sie aber nicht oberste Priorität.
Nik Junker: Kurt spricht es an, wir Landwirte sind hier erneut mit einer urbanen Initiative konfrontiert. Mit solchen mussten wir uns ja leider bereits letztes Jahr herumschlagen.
Kurt Brunner: Die Trinkwasser-Initiative und die Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide habe ich aber auch befürwortet.
Nik Junker: Das ist klar, mit deinem Hintergrund. Aber aus meiner Sicht fehlte bei diesen und auch bei der aktuellen Vorlage der richtige Inhalt. Natürlich wartet unsere Generation von Bauern darauf, dass wir uns endlich noch stärker abheben dürfen mit unserer Produktionsweise und unseren Erzeugnissen. Aber diesen Wandel können wir schlichtweg nicht selbst anstossen. Ich sage schon lange: Würden alle Bio kaufen, würden wir schon längst alle nach den Bio-Standards produzieren. Das ist gar keine Frage. Die Realität sieht aber ganz anders aus.
Kurt Brunner: Das stimmt. Aber genau darum verstehe ich nicht, warum man so viel Energie reinsteckt, um Initiativen wie die aktuelle zu bekämpfen. Stattdessen sollten wir eben lieber über ganz andere Dinge diskutieren.
Nämlich?
Kurt Brunner: Wie wir es schaffen, vom Mengengeschäft wegzukommen. Im aktuellen System können die Bauern kaum von den Preisen leben, die sie für ihre Produkte bekommen; die Grossverteiler betreiben ein knallhartes Business, in dem es nur um Gewinn geht. Gleichzeitig haben die Menschen keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft und deren Erzeugnissen. Wenn in einem Werbespot ein Huhn in eine Migros-Filiale spaziert und ein Ei in einen Karton legt, muss ich mich schon fragen, wie blöd jene sind, die eine solche Werbung machen – und jene, die dann auch noch glauben, das habe effektiv etwas mit der Realität zu tun. Umso wichtiger wäre es, wieder zu einer kleineren, lokaleren und direktvermarktenden Landwirtschaft zu kommen.
Nik Junker: Da gebe ich dir recht. Das wäre das Schönste für uns Bauern. Dorthin kommen wir aber nur gemeinsam mit der Bevölkerung. Grossverteiler und Politik helfen uns nicht.
Zurück zur Abstimmung: Was würde sich bei einer Annahme der Initiative auf Ihren Höfen verändern?
Kurt Brunner: Nichts.
Nik Junker: Obwohl wir heute den IP-Standard erfüllen, müssten wir den Schweinestall vergrössern und die Tierzahl reduzieren. Und ein Betrieb unserer Grösse würde 100 000 Franken an Direktzahlungen verlieren, weil die heute freiwilligen und subventionierten Labels und Tierwohlprogramme zum Standard würden.
Kurt Brunner: Es gibt eine Übergangszeit. Betreffen würde das vor allem deine Nachfolger – bis dahin hast du Zeit, dich anzupassen.
Nik Junker: Der Bauer wird sich immer anpassen. Aber noch mal: Wir brauchen kein neues Gesetz, sondern eine Änderung des Konsumverhaltens.