Herr Niggli, vor einem Jahr haben Sie den Welternährungsgipfel in New York vorbereitet. An einen Krieg in Europa dachte damals noch niemand …
Urs Niggli: Am Gipfel dominierten vor allem Grabenkämpfe, etwa zwischen den Befürwortern von mehr Produktion und den ökologischer Denkenden. Aber es kam keine klare Botschaft zustande. Das fliegt uns nun um die Ohren. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich die Lage dramatisch verändert. Die Lebensmittelpreise sind weltweit gestiegen, und sie werden auch künftig hoch bleiben.
Was heisst das für die Schweiz?
Wir profitieren unendlich von unserem privilegierten Status. Die Schweiz findet immer einen Lieferanten, den sie bezahlen kann. Die aktuelle Situation hat aber Auswirkungen auf den Stellenwert der einheimischen Produktion. Ernährungssouveränität wird auch hierzulande wichtiger. Das ist angesichts der verrückt spielenden Weltmärkte auch richtig so.
Die Lebensmittelpreise sind aber auch bei uns ein grosses Thema.
Es ist verrückt, wie die Konsumenten reagieren, selbst in der Schweiz. Das sieht man besonders beim Biokonsum. In Luxemburg, das ebenfalls ein reiches Land ist, ist er um 20 Prozent eingebrochen. Auch Deutschland und Frankreich verzeichnen Umsatzrückgänge. Für die Schweiz liegen noch keine Zahlen vor, es ist aber mit einer Wachstumsdelle von Bio zu rechnen. Die Vorzüge der Biolabels für das Gemeinwohl kommen gegen die steigenden Preise nicht an.
Urs Niggli (69) gehört zu den führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet des biologischen Landbaus. Von 1990 bis 2020 leitete er das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) in Frick AG. Er ist Präsident des von ihm gegründeten Instituts Agroecology.science.
Urs Niggli (69) gehört zu den führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet des biologischen Landbaus. Von 1990 bis 2020 leitete er das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) in Frick AG. Er ist Präsident des von ihm gegründeten Instituts Agroecology.science.
Eine Bestätigung für Syngenta-CEO Erik Fyrwald und Ex-Migros-Chef Herbert Bolliger, die eine Abkehr vom biologischen Landbau fordern. In Afrika würden Menschen hungern, weil wir hierzulande bio essen.
Das ist Kurzschluss-Bullshit. Bio ist immer noch sexy. Das stört manche Leute, die davon nicht profitieren. Doch das ist nur der Konsum-Aspekt. Bio hat einen tieferen Gedanken. Die Probleme in der Landwirtschaft sind nur lösbar mit einer grundsätzlichen Transformation von Anbau und Ernährung.
Wie muss diese Transformation aussehen?
Sie muss die Umwelt schützen, den Klimawandel bekämpfen und die Biodiversität erhalten. Es wäre völlig falsch, diese Agenda jetzt zu kippen, 30 Jahre zurückzufallen und ausschliesslich die Intensivierung der Produktion zu forcieren. Biobauern haben die beste Schulung, um die aktuellen Probleme zu lösen.
Bio rettet die Welt?
Das ist nicht die Aufgabe der Biobauern. Aber sie sind die Hüter des agrarökologischen Wissens, das wir unbedingt nutzen müssen. Deshalb brauchen wir nicht weniger von ihnen, sondern mehr. Heute macht Bio lediglich zwei Prozent des weltweiten Anbaus aus. Diese Landwirtschaftsform hat also überhaupt keinen Einfluss auf die Ernährungssicherheit.
Und doch fühlt man sich manchmal an eine Erlösungsreligion erinnert: Mit Bio wird alles gut!
Die Idee hat durchaus etwas Messias- Artiges. Aber von dieser Getriebenheit habe ich mich schon lange verabschiedet. Die Lösung ist eine Kombination ganz unterschiedlicher Ideen und Zugänge zu den Problemen der Landwirtschaft. Es geht vor allem darum, traditionelles Wissen und Hightech zu verbinden.
Die Probleme sind gross genug. Jetzt macht die massive Trockenheit den Bauern zu schaffen, auch in der Schweiz. Wasserknappheit ist zu einer realen Gefahr geworden.
Es gab schon immer trockene Sommer. Aber früher fanden sie alle zehn Jahre statt, mittlerweile alle zwei bis drei Jahre. Diese Häufigkeit ist absolut neuartig. Sie hat zur Folge, dass sich die Wasserspeicher nicht mehr regenerieren und die Böden sich nicht mehr vollsaugen können.
Ist die Schweizer Landwirtschaft darauf vorbereitet?
Sie verbraucht immer noch viel Wasser. Unter anderem deshalb, weil sie häufig mit Flächen-Beregnern arbeitet. Wir müssen auf die präzise Tröpfchen-Bewässerung und auf Bodenwasser-Sensoren umstellen, die viel weniger Wasser verbrauchen. Wir sollten ausserdem die Humus-aufbauende Bewirtschaftung fördern, die den Boden schont. Hinzu kommt die Pflanzenzüchtung, die bereits dabei ist, ihre Züchtungsziele stark anzupassen. Sie sucht nach Wegen, die Stresstoleranz von Pflanzen gegenüber Trockenheit zu erhöhen.
Politisch steht zurzeit der Stress der Tiere im Fokus. Die Initiative gegen Massentierhaltung in der Schweiz fordert eine Abkehr von der industriellen Tierproduktion.
Die Initiative berührt einen wunden Punkt. Wir haben zu viele Tiere in der Schweiz. Alle unsere Umweltprobleme hängen mit dem Futtermittelimport zusammen. Stickstoff und Phosphor sind die schlimmsten Treiber. Die Folge ist der Verlust von Biodiversität vor allem im Grünland. Das hat alles mit der Tatsache zu tun, dass es hierzulande zu viele Tiere gibt.
Es geht bei der Initiative also weniger um das Wohl der Tiere, sondern um ihre Reduktion?
Im Zentrum steht nicht das Tierwohl, da ist die Schweiz gut, sondern die Masse der Tiere, die ja schon im Namen der Initiative steckt. Und es ist mit Blick auf Ernährung und Umweltschutz auch klar, dass wir die Schweizer Landwirtschaft umstellen müssen. Wir brauchen viel mehr pflanzliche und viel weniger tierische Proteine.
Das würde eine massive Ernährungsumstellung bedeuten!
Natürlich, und zwar mit weitreichenden Auswirkungen. 50 Prozent weniger Fleischkonsum und 50 Prozent weniger Foodwaste würden für die Schweizer Bevölkerung zu keiner Verschlechterung der Lebensqualität führen. Im Gegenteil, es hätte eine enorme Verbesserung der Gesundheit zur Folge. Wir wären dann schon sehr nahe bei einer idealen Ernährung. Eine solche Umstellung würde also nicht nur die Umweltkosten, sondern auch die Gesundheitskosten dramatisch senken. Darum ist es richtig, diese Frage zu debattieren. Ich hoffe, dass das nun auch möglichst konsensorientiert geschieht.