«Der Bio-Boom wird nicht abnehmen – im Gegenteil»
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Urs Brändli (59) kontert:«Der Bio-Boom wird nicht abnehmen – im Gegenteil»

Zu wenig produktiv, klimaschädlich, schuld am Welthunger
Bio-Bauern kontern Frontalangriff von Agrar-Multi

Wegen des Ukraine-Kriegs droht in armen Ländern eine Ernährungskrise. Zum Hunger trage auch der Biolandbau bei, behauptet Syngenta-Chef Erik Fyrwald. Biobauern wehren sich.
Publiziert: 11.05.2022 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 11.05.2022 um 09:53 Uhr
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Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli kontert einen Angriff von Syngenta-Chef Erik Fyrwald.
Foto: Nathalie Taiana
Sermîn Faki und Lea Hartmann

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fallen Gewissheiten wie Dominosteine. Die Schweizer Armee wird aufgerüstet, die Schweizer Neutralität hinterfragt, Zehntausende Flüchtlinge unkompliziert aufgenommen.

Und jetzt sollen auch noch Biobauern wie Urs Brändli (59) schuld sein am Hunger in Afrika. Das jedenfalls sagt Erik Fyrwald (62), Chef des Agrarchemiekonzerns Syngenta. Weil wir Wohlstandsverwöhnten mehr Bio auf dem Teller wollen, würden in Afrika Menschen hungern, behauptete er am Wochenende in der «NZZ am Sonntag» und forderte den Ausstieg aus dem Biolandbau.

Bio schade dem Klima – wirklich?

In der Tat hungern allein in Afrika etwa 60 Millionen Menschen – der Krieg in der Ukraine und die dadurch ausgelösten Lieferausfälle verschärfen die Not zusätzlich.

Bio, sagt Fyrwald, könne man sich da einfach nicht mehr leisten. Denn erstens brauche Bioanbau mehr Fläche, weil der Ertrag pro Hektar geringer sei – um bis zu 50 Prozent. Zweitens führe Bio auch zu mehr CO2-Emissionen als die konventionelle Landwirtschaft.

Die Aussagen des Syngenta-Chefs sind ein Frontalangriff auf Biobauern wie Brändli. Der Landwirt ist Präsident des Dachverbands Bio Suisse. Trägt er Mitschuld am Hunger in afrikanischen Staaten? Brändli kontert mit einer Gegenfrage: «Wie wollen wir die Welt denn ernähren, wenn wir die nächsten 50 Jahre so weiterfahren wie bisher?»

Konsum müsse sich ändern

Laut einer Studie des Forschungszentrums Agroscope liefern Biobetriebe im Schnitt gut 20 Prozent weniger Ertrag als konventionell produzierende. Aus Brändlis Sicht ist es dennoch die Zukunft. Voraussetzung Nummer 1: weniger Foodwaste. «Würden wir nur noch halb so viele Lebensmittel wegwerfen wie heute, müssten etwa 15 Prozent weniger produziert werden», sagt er. Voraussetzung 2: Weniger Fleisch essen. «Die Ackerfläche könnte dann direkt für die menschliche Ernährung gebraucht werden statt zur Produktion von Tierfutter, was viel effektiver ist.»

Hier sei Bio ein Schlüssel, bestätigt Knut Schmidtke (59), Chef des renommierten Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) in Frick AG. Weil Bio-Konsumenten weniger Fleisch essen und auch viel weniger Nahrung wegwerfen. «Berücksichtigt man das Verbraucherverhalten, können mit Bioprodukten mehr Menschen ernährt werden, als die geringeren Erträge erwarten lassen.» Er lade Fyrwald gern ein, sich mit ihm ein paar Biohöfe anzuschauen. «Mir scheint, er hat Bedarf zu sehen, was Biolandwirtschaft leisten kann.»

Unabhängig von Importen und Pestiziden

Dennoch sieht Schmidtke auch die Biobauern in der Pflicht. Sie müssten den Fokus neben Biodiversität und Tierwohl auch auf die Produktion legen. «Zugespitzt gesagt: Wir wollen nicht nur Regenwürmer, sondern auch Lebensmittel.» Es brauche eine «Eco-Intensivierung», auf die auch die Subventionen ausgerichtet sein müssten.

Das Klima-Argument von Fyrwald allerdings sei nicht nachvollziehbar: «Ich war erstaunt, diese Aussage zu lesen, denn wissenschaftlich ist sie nicht hinreichend belegt.» Im Gegenteil: Eine Studie, die CO2-Emissionen von Biolandwirtschaft und konventioneller Landwirtschaft verglich, kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Zumindest auf der Nordhalbkugel, wo Vergleichsstudien vorliegen, bindet ein Hektar Bio-Land zehn Prozent mehr Kohlenstoff als konventionell bewirtschaftetes.

Das Ziel, den Hunger in Afrika zu besiegen, ist aus Sicht von Schmidtke und Brändli langfristig mit Biolandwirtschaft erreichbar. Ukrainisches Getreide zu importieren, sei jedenfalls nicht die Lösung. «Das geht im Gegenteil langfristig nur, indem man Afrika weniger abhängig von Importen, Saatgut und Pflanzenschutzmitteln macht», sagt Schmidtke.

Und indem man lokale Bio-Landwirtschaft fördert, wie sie Urs Brändli seit fast 30 Jahren betreibt.

Ukraine-Krieg trifft Schweizer Bauern

Den Angriffskrieg gegen die Ukraine bekommen auch die Schweizer Bäuerinnen und Bauern zu spüren. Die Preise für Stickstoffdünger haben sich wegen der höheren Gaspreise vervierfacht. Und wegen eines befürchteten Soja-Engpasses ist auch das importierte Tierfutter jüngst viel teurer geworden. Nicht zuletzt machen den Bauern zudem die höheren Benzinpreise zu schaffen.

Die Preiserhöhungen treffen vor allem konventionelle Betriebe, weil diese stärker von Importen abhängig sind. «Bei konventionellen Produkten gibt es jetzt tendenziell die höheren Preissteigerungen als bei Bioprodukten», sagt Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli (61). Der Wettbewerbsnachteil von Bio werde damit etwas kleiner.

Aber auch Bio Suisse ist vom Krieg betroffen. Weil Importe aus der Ukraine nicht mehr im gewohnten Mass möglich sind, musste die Knospe-Organisation die Futter-Richtlinien lockern. Ausnahmsweise dürfen Biobetriebe bis Ende Jahr Futtermittel auch von Betrieben aus China, Brasilien oder anderen Ländern aus Übersee beziehen, die nach den Bio-Richtlinien arbeiten. Lea Hartmann

Den Angriffskrieg gegen die Ukraine bekommen auch die Schweizer Bäuerinnen und Bauern zu spüren. Die Preise für Stickstoffdünger haben sich wegen der höheren Gaspreise vervierfacht. Und wegen eines befürchteten Soja-Engpasses ist auch das importierte Tierfutter jüngst viel teurer geworden. Nicht zuletzt machen den Bauern zudem die höheren Benzinpreise zu schaffen.

Die Preiserhöhungen treffen vor allem konventionelle Betriebe, weil diese stärker von Importen abhängig sind. «Bei konventionellen Produkten gibt es jetzt tendenziell die höheren Preissteigerungen als bei Bioprodukten», sagt Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli (61). Der Wettbewerbsnachteil von Bio werde damit etwas kleiner.

Aber auch Bio Suisse ist vom Krieg betroffen. Weil Importe aus der Ukraine nicht mehr im gewohnten Mass möglich sind, musste die Knospe-Organisation die Futter-Richtlinien lockern. Ausnahmsweise dürfen Biobetriebe bis Ende Jahr Futtermittel auch von Betrieben aus China, Brasilien oder anderen Ländern aus Übersee beziehen, die nach den Bio-Richtlinien arbeiten. Lea Hartmann

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