Kantone stärker in der Pflicht im kommenden Corona-Herbst
Verabschiedet sich Bundesrat in die Hängematte?

Mit Blick auf den Corona-Herbst will der Bundesrat die Kantone stärker in die Pflicht nehmen. Diese hingegen wollen, dass der Bund notfalls auch nationale Massnahmen anordnet. Allenfalls schon am Mittwoch verabschiedet der Bundesrat die neue Corona-Strategie.
Publiziert: 17.05.2022 um 17:48 Uhr
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Aktualisiert: 17.05.2022 um 17:52 Uhr
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Bundesrat Alain Berset sieht bei Corona die Kantone wieder stärker in der Pflicht.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Keine Masken mehr im Zug, im Laden, im Kino. Das sichtbarste Symbol der Corona-Pandemie ist weitgehend aus dem Alltag verschwunden. Die Schweiz hat gerade Pause von Corona – innert Wochenfrist wurden gerade noch knapp 11'000 neue Fälle registriert. Doch die Pandemie dürfte im Herbst mit aller Kraft zurückkommen, warnt Moderna-Chefarzt Paul Burton (53) im Blick. «Es wird noch viele weitere Varianten geben, vielleicht sogar noch schwerwiegendere», sagt er.

Bund und Kantone wappnen sich bereits für den Herbst. In einem Grundlagenpapier, das der Bundesrat wohl diesen Mittwoch oder allenfalls nächste Woche verabschieden dürfte, wird nun die Strategie für eine bis im Frühling 2023 dauernde Übergangsphase geklärt. Im Fokus steht dabei die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen.

Kantone stärker in der Pflicht

Geht es nach Bundesrat Alain Berset (50), soll der Bund weiterhin zuständig sein für die Impfstoffbeschaffung, Covid-Arzneimittel, Informationskampagnen, Überwachungsmassnahmen oder natürlich allfällige Einreisebeschränkungen. Bei den Schutzmassnahmen wie etwa Abstandsregeln oder Maskenpflicht will er es bei Empfehlungen belassen.

Geht es hingegen um harte Massnahmen, sieht der Bundesrat die Kantone in der Verantwortung. Diese sollen für eine ausreichende Gesundheitsversorgung sorgen und im Ernstfall selber Schutzmassnahmen beschliessen: beispielsweise Veranstaltungen einschränken, Schulen oder Läden schliessen, eine Maskenpflicht anordnen oder den Einsatz des Covid-Zertifikats regeln.

Und selbst dort, wo nationale Regelungen sinnvoll sind – etwa eine Maskenpflicht im ÖV – sieht er die Kantone in der Verantwortung. Sie sollen sich entsprechend absprechen und koordinieren. Die Hürden, dass der Bund wieder in die besondere Lage wechselt und schweizweite Massnahmen anordnet, ist hoch: Das will er nur bei einer «erneuten, besonders heftigen Pandemiewelle», welche zu einer höheren Belastung des Gesundheitswesens als die bisherigen Wellen führt.

Kantone wollen tiefere Hürde

Dass sich der Bund zurücknimmt, stösst den Kantonen sauer auf. In der Konsultation machten sie ihrem Ärger Luft. Sie wollen, dass der Bundesrat die Hürde für eine Rückkehr in die besondere Lage tiefer ansetzt, damit angemessen reagiert werden kann.

Ob der Bundesrat diesem Wunsch nachkommt? «Bisher haben wir keine Signale, dass der Bundesrat uns hier entgegenkommt», sagt Michael Jordi, Generalsekretär der kantonalen Gesundheitsdirektoren-Konferenz (GDK).

Die im Grundlagenpapier vorgesehene Aufgabenteilung sei zwar «für die ruhigere Zeit im Sommer in Ordnung», so Jordi. Sollte die Pandemie aber wieder an Fahrt aufnehmen, so dass gesamtschweizerischer Handlungsbedarf angezeigt sei, «dann ist der bundesrätliche Vorschlag der falsche Ansatz».

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Niemand wisse, was im Herbst auf die Schweiz zukomme. Und: «Niemand weiss, ob und wie lange die Immunisierung der Bevölkerung anhält oder ob es zu neuen Virusvarianten und einem raschen Anstieg der Krankheitslast kommt», sagt Jordi. Je nach Entwicklung brauche es schnelle, nationale Entscheidungen. «Da kann sich der Bundesrat nicht einfach in die Hängematte legen», macht Jordi klar. «Er kann nicht erst aktiv werden, wenn es zu spät ist.»

GDK will Prozess definieren

Und wenn der Bund untätig bleibt? Auch auf dieses Szenario bereitet sich die GDK vor. Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren in Genf zur Plenarversammlung. «Wir werden den Prozess definieren, wie wir als Kantone zu schweizweiten Empfehlungen kommen wollen – wenn solche nötig werden», sagt Jordi.

Dabei gehe es aber nicht um fixe Indikatoren. Und er betont: «Mehr als Empfehlungen an die Kantonsregierungen sind nicht möglich. Wir haben keine rechtliche Grundlage, schweizweit Massnahmen durchzusetzen.»

Und so droht im Herbst wieder ein kantonaler Flickenteppich, falls es zu einer neuen Corona-Welle kommt. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass dies in der Bevölkerung auf kein Verständnis stösst. Für Jordi ist daher klar: «Gehen die Zahlen steil nach oben, ist eine Rückkehr in die besondere Lage angezeigt, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht.» Das würde bedeuten, dass der Bundesrat das Zepter wieder in die Hand nimmt.

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