Darum gehts
- Zwangskontrolle: Forderung nach Aufnahme in Zivil- und Strafgesetzbuch
- Jacqueline de Quattro will Gesetzeslücke bei häuslicher Gewalt schliessen
- In der Schweiz stirbt durchschnittlich alle zwei Wochen eine Frau durch Partnergewalt
Der Täter schüchtert sein Opfer ein, kontrolliert und erniedrigt es, überwacht seine Bewegungen, seinen Umgang oder den Inhalt seines Handys: Die sogenannte Zwangskontrolle ist eine Form von häuslicher Gewalt. Die Waadtländer FDP-Politikerin Jacqueline de Quattro fordert in einem Vorstoss den Bundesrat dazu auf, dieses Konzept ins Zivil- und ins Strafgesetzbuch aufzunehmen und zu bestrafen. Während dies in anderen Ländern schon der Fall ist, zögert der Bundesrat.
Jacqueline de Quattro, was ist Zwangskontrolle konkret?
Jacqueline de Quattro: Es handelt sich um die Gesamtheit der Zwänge und des psychologischen Drucks, die von einem häuslichen Tyrannen auf das Opfer ausgeübt werden. Dies betrifft vor allem Frauen, aber auch Männer und leider auch viele Kinder. Dieses Muster des psychologischen Drucks entsteht oft, bevor es zu körperlicher Gewalt kommt. Zwangskontrolle zu bestrafen, wäre ein guter Weg, um zu verhindern, dass die Gewalt eskaliert. Ich möchte daran erinnern, dass in der Schweiz im Durchschnitt alle zwei Wochen eine Frau durch die Schläge ihres Partners oder Ex-Partners stirbt. Seit Anfang des Jahres wurden bereits zwölf Frauenmorde gezählt …
Warum haben Sie sich Anfang März erneut mit diesem Antrag befasst? Nach Ihrer Interpellation im Jahr 2024 war der Bundesrat der Ansicht, dass das Strafgesetzbuch im Bereich der häuslichen Gewalt keine Lücken aufweise …
Die Situation hat sich seither verändert. Ich konnte mich mit zahlreichen Experten austauschen, die mir bestätigt haben, dass es in der Schweiz tatsächlich eine Gesetzeslücke gibt, während andere europäische Länder handeln. Im Januar hat die Nationalversammlung in Frankreich in erster Lesung einen Gesetzesvorschlag angenommen, der die Zwangskontrolle im Strafgesetzbuch verankern soll. Denn sie hat schwerwiegende Folgen, vor allem für Kinder. In der Schweiz werden diese nicht ausreichend berücksichtigt.
Ist es wirklich sinnvoll, Zwangskontrolle in der Schweiz speziell zu kriminalisieren, wenn bestimmte Straftaten wie Nötigung, Beleidigung oder Drohung bereits gesetzlich geahndet werden?
Es gibt keinen spezifischen Straftatbestand «häusliche Gewalt». Diese Form der Gewalt muss jedoch in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Was vor den Schlägen kommt, wird strafrechtlich nicht geahndet: Kontrolle des Umgangs, systematische Kritik an der Kleidung, Überwachung von Anrufen und SMS, Belästigung oder Verunglimpfung. Damit werden die Opfer sozial isoliert, es sind schwere Eingriffe in die Freiheit und die Grundrechte der Opfer.
Welche konkreten Verhaltensweisen sollten bestraft werden?
Ein einzelner überwachter Telefonanruf fällt nicht unter die Zwangskontrolle. Wenn dies jedoch systematisch geschieht, sollte es bestraft werden. Damit wird Schlimmeres und die Eskalation der Gewalt gestoppt. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Phänomen, das wir ernst nehmen müssen.
In der Schweiz führten zwischen 2019 und 2024 nur elf Prozent der Verfolgungen von Vergewaltigungen zu einer Verurteilung. Wie kann man beweisen, dass man Opfer psychischer Gewalt ist, wenn es bereits sehr schwierig ist, körperliche Gewalt vor Gericht zu beweisen?
Es ist eine Herausforderung, das stimmt, aber Zwangskontrolle ist wiederholte und systematische Gewalt. Beweise sollten gesammelt werden, wie etwa Nachrichten, Screenshots oder Zeugenaussagen. Heute wird häusliche Gewalt nicht als eigenständige Straftat behandelt. Ich habe keinen Zauberstab, aber ich möchte den Richtern einen Werkzeugkasten an die Hand geben, damit sie besser mit dieser Geissel umgehen können.
Wäre es nicht besser, auf Prävention zu setzen, vor Ort zu arbeiten, die Polizei und die Justiz besser auszubilden, als das Gesetzesarsenal zu verstärken?
Das eine geht nicht ohne das andere. Das haben wir im Kanton Waadt getan, als ich Staatsrätin war, indem wir 2017 ein wegweisendes Gesetz gegen häusliche Gewalt eingeführt haben. Wir hatten eine ganze Ausbildungskomponente integriert, insbesondere um die Aussagen der Opfer besser festhalten und diese angemessen betreuen zu können.
Ihr Antrag wurde von sieben Frauen mitunterzeichnet. Ist das Ihren männlichen Kollegen egal?
Das Thema ist unangenehm. Viele ziehen es vor, nicht darüber zu sprechen. Dabei kennt jeder mindestens ein Opfer von häuslicher Gewalt. In Spanien hat eine massive Sensibilisierung zu einem Umdenken in der Gesellschaft geführt. In der Schweiz müssen wir dieses Tabu brechen. Ich habe mich dafür entschieden, je eine Frau aus jeder Partei zusammenzubringen, um zu zeigen, dass es sich nicht um eine politische, sondern um eine gesellschaftliche Frage handelt. Dieser Kampf muss kollektiv geführt werden, ohne Spaltungen.