Grünen-Mazzone und FDP-Burkart duellieren sich an der Autobahn-Raststätte
«Das ist finanziell völlig übertrieben»

Am 24. November stimmt die Schweiz über den Autobahn-Ausbau ab. FDP-Präsident Thierry Burkart kämpft dafür, Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone dagegen. Im Blick-Streitgespräch schenken sich die beiden nichts.
Publiziert: 13.11.2024 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 13.11.2024 um 19:01 Uhr
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Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone und FDP-Präsident Thierry Burkart bei der Raststätte Grauholz.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Mazzone und Burkart streiten über den Autobahn-Ausbau
  • Burkart betont die Bedeutung der Mobilität für den Wohlstand
  • Mazzone warnt davor, die Klimakrise zu ignorieren
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Sie fährt nur Velo und Zug, er hat sogar einen Lastwagen-Führerschein. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone (36) und FDP-Chef Thierry Burkart (49) treffen sich auf der Raststätte Grauholz in Bern – bei einem Ja zum Autobahn-Ausbau am 24. November soll die A1 hier auf acht Spuren verbreitert werden. Burkart kämpft dafür, Mazzone dagegen. Im Blick-Streitgespräch treffen politische Welten aufeinander.

Blick: Lisa Mazzone, der Autobahn-Ausbau betrifft Sie nicht direkt. Warum sollen die Leute weiterhin im Stau stehen?
Lisa Mazzone: Der Autobahn-Ausbau führt zu mehr Stau. Das zeigt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Erfahrung: Den Bareggtunnel in Zürich hat man erweitert. Danach gab es relativ schnell wieder mehr Verkehr. Und das bedeutet auch, dass mehr Autos und LKW durch Dörfern und Städte fahren. Dort müssen die Autos schliesslich durch, um zum ausgebauten Tunnel zu gelangen.

Thierry Burkart: Die Aussage ist gleich doppelt falsch! Ich wohne in der Region um den Bareggtunnel. Vor dem Ausbau hat man täglich Staunachrichten im Radio gehört. Das ist heute nicht mehr der Fall. Auch der Gubristtunnel wurde ausgebaut, und der Stau hat abgenommen. Aber vor allem hat es weniger Ausweichverkehr in den umliegenden Dörfern gegeben.

Mazzone: Was du vergisst, ist, dass niemand auf der Autobahn übernachtet. Das bedeutet, dass man zuerst durch die Dörfer fahren muss, um auf die A1 zu gelangen. Wir sprechen in Genf über Zehntausende Autos mehr pro Tag, die auf der Autobahn sein werden. Der Verkehr in der Stadt wird sich verdoppeln. Das führt zu mehr Lärm und Unsicherheit in den Quartieren.

Thierry Burkart, mehrere Forscher und Verkehrsexperten sagen, dass die Wirkung der Autobahnausbauten in wenigen Jahren verpufft. Ist dieser Ausbau nicht für die Katz?
Burkart: Mobilität ist Grundlage für unseren Wohlstand. Deshalb müssen wir die Stauproblematik heute lösen. Je länger wir warten, desto schlimmer wird es. Wir sind zudem Weltmeister beim Verladen der Güter auf die Bahn. Und trotzdem werden 70 Prozent der Güter auf der Strasse transportiert. Sie müssen nämlich zu den Kundinnen und Kunden in die Läden kommen, sodass auch Lisa Mazzone in Genf mit dem Lastenrad ihre Milch kaufen kann.

Mazzone: Wenn dieser Ausbau kommt, gibt es zuerst einmal zehn Jahre lang Baustellen, mit mehr Stau und mehr Lärm. Und wofür? In Spitzenzeiten sitzt eine Person im Auto. Dieser Ausbau ist wirklich ineffizient und völlig übertrieben.

Burkart: Von den bald 50'000 Stunden Stau auf der Nationalstrasse sind lediglich 4 Prozent aufgrund von Baustellen. Es lohnt sich zu investieren, wenn man dafür nachher wenig Stau wegen der Überlastung hat. Denn Überlastung ist in rund 87 Prozent der Fälle die Ursache.

Für diesen Ausbau will der Bund 4,9 Milliarden Franken ausgeben.
Mazzone: Das ist finanziell völlig übertrieben. Die Kosten werden auf 5 bis 7 Milliarden Franken steigen. Und dieses Geld wird ausgegeben, während in anderen Bereichen gekürzt wird: bei der AHV, bei den Prämienverbilligungen, beim ÖV, beim Klimaschutz und vor allem beim ÖV.

Burkart: Lisa, bleib bitte korrekt. Dieses Geld kommt nicht vom allgemeinen Staatshaushalt, sondern aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF) und fehlt weder beim ÖV noch bei der AHV oder für die Prämienverbilligung. Das Geld haben die Strassenverkehrsteilnehmer bereits bezahlt. Das wäre das erste Mal, dass du dir Sorgen machst um das Geld der Autofahrer.

Fällt das Vermögen im NAF unter 500 Millionen Franken, muss der Benzinpreis steigen, so will es das Gesetz. Je nach Schätzung könnte das schon in vier bis fünf Jahren der Fall sein.
Burkart: Das ist eine Verwirrungstaktik der Gegner. Diese Regelung wurde bereits 2017 durch das Schweizer Volk beschlossen. Es wird keine Benzinpreiserhöhung geben wegen dieser Vorlage. Das Geld ist vorhanden, wir haben noch über 2,5 Milliarden Franken an Reserven, jedes Jahr kommen weitere Milliarden hinzu, und die Projekte werden nicht in einem Jahr, sondern über viele Jahre verteilt realisiert.

Mazzone: Statt hier in mehr Stau zu investieren, sollten wir lieber mehr Geld aus dem Fonds für den öffentlichen Verkehr einsetzen. Wir brauchen andere Lösungen. Rund um die Autobahn hat man oft einfach keine Alternative. Es gibt keine Busse. Wir könnten rasch mehr Linien oder tiefere Preise anbieten.

Burkart: Selbstverständlich braucht es – nebst dem Autobahnausbau – auch eine Verbesserung des ÖV. Wir sind auf alle Verkehrsträger angewiesen. Doch wenn es nach Frau Mazzone ginge, hätte man schon vor 60 Jahren gar keine Autobahnen gebaut. Man stelle sich vor, wie der Verkehr heute durch die Dörfer rollen würde. Wir wollen den Verkehr eben auf der Nationalstrasse abwickeln.

Mazzone: Wenn es nach Herrn Burkart gehen würde, würde man genau die gleichen Lösungen wie vor 50 Jahren nutzen und einfach die Klimakrise weiter ignorieren. Das geht nicht. Mit diesem Projekt verschlimmern wir die Klimakrise und betonieren wertvolles Kulturland zu.

Burkart: Ich habe immer die ÖV-Projekte im Parlament unterstützt. Wir brauchen eine gesamtheitliche Betrachtung des Verkehrs und nicht einseitige Ideologie. Zu bedenken ist im Übrigen, dass aktuell eine rasche Dekarbonisierung stattfindet. Die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs nehmen laufend ab.

Thierry Burkart blickt auf die Uhr. Schon zu Beginn des Gesprächs hatte er angekündigt, pünktlich gehen zu wollen. Er muss noch einen Zug erreichen. 

Thierry Burkart, bei der Biodiversitäts-Initiative haben Sie unter anderem Nein gesagt, weil die Bauern Land verloren hätten. Mit dem Autobahn-Ausbau passiert das ebenfalls.
Burkart:
Da ging es um ganz andere Dimensionen. Hier sind es lediglich acht Hektaren Kulturlandverlust. Von diesen sechs Projekten sind drei davon Tunnels. Das führt dazu, dass man sehr, sehr wenig Kulturlandverlust hat. Auch der Bauernverband unterstützt den Ausbau.

Mazzone: Im Parlament waren auch SVP-Politiker dagegen, gerade weil sie die Bauern vertreten. Auch in Genf und im Wallis sind die Landwirtschaftskammern gegen dieses Projekt, weil dieses Kulturland einfach verloren geht. Es ist zudem nicht sicher, dass wirklich alle Flächen der Bauern ersetzt werden können.

Frau Mazzone, wenn Lastwagenchauffeure wegen eines Staus zu spät kommen, fehlen möglicherweise wichtige Medikamente, oder die Regale in den Läden bleiben leer. Wollen Sie das?
Mazzone:
Rund die Hälfte des Verkehrs ist Freizeitverkehr. Die Leute gehen einkaufen oder treffen Freunde. Man muss den ÖV für diese Nutzung dringend attraktiver machen. Dafür braucht es tiefere Preise. Dann wären die Strassen frei für jene Leute, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, wie die LKW-Fahrerinnen und -Fahrer, die uns Medikamente und Lebensmittel liefern. Stattdessen wird in Basel ein Tunnel gebaut, damit mehr ausländische Lastwagen durch die Schweiz fahren.

Burkart: Wir sehen schon jetzt, dass es für Kunden und Kundinnen immer teurer wird. Je mehr Lastwagen im Stau stehen, desto teurer werden die Preise. Dazu gibt es ein Chauffeur-Problem: Wer will sich noch hinters Steuer setzen, wenn er ständig im Stau steht?

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