Grüne hadern mit Grünen
Das Klima ist abgekühlt

Die Umweltpartei träumt von einer Klimawahl im Herbst. Doch dafür stehen die Vorzeichen schlecht. Entscheidend wird der 18. Juni.
Publiziert: 02.04.2023 um 15:23 Uhr
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Kämpfen gegen ein geplantes Gas-Terminal: Klimastreikende bei einer Demo in Arlesheim BL.
Foto: keystone-sda.ch
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Peter AeschlimannRedaktor

Sie sind jung, sie sind laut, und sie haben eine Botschaft: «Methan stinkt!» Etwa hundert Menschen sind zur Demonstration vor dem Sitz des Gasverbundes Mittelland in Arlesheim BL gekommen, aufgerufen hatte die Klimastreik-Bewegung. Am Gitter, das den Zugang zum Gelände versperrt, hängt ein Banner: «Wir werden das Flüssiggasterminal verhindern.»

Knapp 30 Kilometer Luftlinie entfernt, im Stadttheater Olten SO, tritt zur selben Zeit Balthasar Glättli (51) auf die Bühne. Im weissen Hemd schwört er seine Delegierten auf die «Klimawahl 2023» ein. Der Grünen-Präsident klingt fast ein wenig trotzig. Er weiss, dass im Augenblick andere Themen als die Umwelt Konjunktur haben: Banken, Wohnungen, Waffen.

Vor vier Jahren war das noch anders. Damals gingen Tausende auf die Strasse. Ihr Ziel: den Planeten retten. Und an der Urne triumphierten die Grünen. Sie erhöhten ihren Wähleranteil um 6,1 Punkte auf 13,2 Prozent und eroberten 17 zusätzliche Sitze im Nationalrat.

Grosse Verlierer

In diesem Frühjahr sieht es weniger günstig aus. Bei kantonalen Urnengängen in Zürich und Basel-Landschaft gehörten die Grünen zu den grossen Verlierern. Auch die Prognosen vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst dürften Präsident Glättli keine Freude machen: Bei sämtlichen Umfragen büssen die Grünen rund 2,5 Prozentpunkte ein.

Besonders bitter: In den Sorgenbarometern schwingt die Angst ums Klima immer noch obenaus, Lösungen wären also durchaus gefragt. Haben die Wähler den Glauben an die Grünen verloren?

Klimastreik-Aktivist Cyrill Hermann (19) zieht ernüchtert sein Fazit: «Wir halten nicht mehr viel von den Grünen.» Vor vier Jahren habe die Partei von den Schülerinnen und Schülern profitiert, die Woche für Woche fürs Klima protestierten. «Doch», so Hermann, «es kam nichts zurück, wir sind heute keinen Schritt weiter.» Statt Steigbügelhalter für die Politik zu spielen, werde man sich künftig auf eigene Aktionen konzentrieren. Mit Streiks, der Bekämpfung geplanter Gaskraftwerke oder -terminals wie am vorletzten Samstag in Basel. «Die Grünen sind bloss eine weitere Partei, die einfach wiedergewählt werden will.»

«Wir haben null Vertrauen in die Politik.»

Auch Reto Wigger (39) von der Bewegung Extinction Rebellion, die mit zivilem Ungehorsam auf die Klimakrise aufmerksam macht, hält nicht viel von Parlament und Regierung: «Wir haben null Vertrauen in die Politik.» Der Aktivist ortet das Problem bei Parteien und Medien. Sie hätten den Ernst der Lage nicht begriffen. Bei der Covid-Pandemie sei der Bundesrat vors Volk getreten und habe vor Gefahren fürs Gesundheitssystem gewarnt. Danach habe jede und jeder im Land den R-Wert erklären können. «Weshalb ist das nicht mit dem Kipppunkt so?», fragt Wigger.

Laut Weltklimarat ist der Kipppunkt eine kritische Grenze, an der sich ein System umorganisiert – abrupt und unumkehrbar. In der Praxis bedeutet das: Geht das Abholzen im Amazonas-Gebiet weiter, verwandelt sich der Regenwald nach Überschreitung dieses Punkts zur riesigen Savanne. Die Folgen fürs Weltklima und die Artenvielfalt wären verheerend. «Unsere Lebensgrundlage wird zerstört», sagt Reto Wigger. «Über diese unbequeme Wahrheit reden Politikerinnen und Politikern zu wenig.»

Ein Auge auf die Politik haben auch die Umweltverbände Greenpeace, Pro Natura, VCS und WWF. In ihrem zur Legislaturhalbzeit veröffentlichten Umweltrating hiess es Ende 2021, dass «Umweltanliegen im Nationalrat trotz Sitzgewinnen von Grünen und GLP nur wenig erfolg- reicher sind als zuvor.» Von 49 besonders wichtig eingestuften Abstimmungen wurden 21 verloren.

Schwerer Stand auch im Ständerat

Im Ständerat hatten es grüne Anliegen noch schwieriger. Dort fielen neun Entscheide für den Umweltschutz aus und 14 dagegen. Die Mitte stimmte deutlich häufiger gegen die Umwelt als ihre Vorgängerparteien CVP und BDP. Und weil sich das Abstimmungsverhalten anderer Parteien zuungunsten des Klimas verschoben hat, verpuffen die Sitzgewinne der Grünen. Verlieren sie in diesem Herbst so stark, wie die Umfragen zeigen, werden es Klimaanliegen in Bundesbern schwieriger haben denn je.

Aus den Umweltverbänden mag sich niemand öffentlich zum Formstand der Grünen äussern. Man ist nervös und will den Abstimmungskampf fürs Klima- gesetz nicht gefährden. Stichtag ist der 18. Juni. An diesem Datum entscheidet sich, ob die von den Grünen ausgerufene Klimawahl 2023 bloss eine Behauptung bleibt. Einer, der sich für die Ja-Kampagne einsetzt, sagt zu SonntagsBlick: «Bringen wir das nicht durch, ist die Klimapolitik in diesem Land tot.»

Bei den Grünen sehnt man den Abstimmungssonntag im Sommer herbei. Immerhin wird danach wenigstens halbwegs Gewissheit herrschen. Präsident Glättli: «Ein klares Ja gäbe den Grünen Aufwind.»

Ungünstige Wahlthemen

Momentan jedoch prägen Diskussionen über Zuwanderung, Waffen und Credit Suisse die politische Debatte. Themen, zu denen die Grünen durchaus auch etwas zu sagen haben. Sie fordern ein Verbot von Zweitwohnungen in Städten mit Wohnungsnot, sie wehren sich aus pazifistischen Gründen gegen Waffenlieferungen und gegen ein Bankensystem, das Risiken belohnt und Steuerzahlerinnen und -zahler bestraft. Dennoch werden die Grünen landauf, landab als Ein-Thema-Partei wahrgenommen.

Doch die Grünen geben sich nicht geschlagen. «Natürlich müssen wir noch mehr Gas geben», sagt Fraktionschefin Aline Trede (39). Für die Kritik der Aktivistinnen und Aktivisten hat sie Verständnis: «Auch mir geht es zu langsam, deshalb bin ich ja auch in die Politik gegangen.» Die lauten Töne auf der Strasse seien aber genauso wichtig wie die kleinen Schritte im Parlament. Im Jahr 2015 holte die Bernerin 35'000 Stimmen, vier Jahre später 70'000. «Diese Mobilisierung müssen wir wiederholen», sagt Trede.

Präsident Glättli bleibt bei seinem Mantra: «Unser Planet brennt, wir müssen jetzt die ökologische Wende schaffen. Darum braucht es eine Klimawahl!»

Was die Grünen neben vielen Stimmen jetzt noch benötigen, ist etwas Voodoo: Dass ein Wunsch, den man oft genug wiederholt, sich wie von selbst erfüllt.

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