Grossveranstaltungen schweizweit auf dem Prüfstand
Sportklubs fürchten um ihre Früchte

SP-Bundesrat Alain Berset wollte im August bei den Grossveranstaltungen eine härtere Linie fahren, wurde aber von Bundesratskollegen und Verbänden zurückgepfiffen. Doch jetzt steigen die Fallzahlen wieder und die Kantone nehmen die Grossanlässe selbst ins Visier.
Publiziert: 20.10.2020 um 11:06 Uhr
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Aktualisiert: 20.10.2020 um 12:19 Uhr
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Der Kanton Bern mit Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg preschte vor: Grossveranstaltungen sind wieder verboten.
Foto: Keystone
Ruedi Studer und Daniel Ballmer

Erst seit drei Wochen sind Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen wieder erlaubt – und stehen angesichts steigender Corona-Fallzahlen schon wieder auf dem Prüfstand. Vorgeprescht ist dabei der Kanton Bern mit SVP-Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg (57), der Grossanlässe untersagt.

Doch weitere Kantone dürften folgen. Damit rechnet Michael Jordi, Generalsekretär der Gesundheitsdirektoren-Konferenz (GDK): «Ich gehe davon aus, dass rasch weitere Kantone nachziehen werden», sagt er zu BLICK.

Besonders die Sportverbände und Profiklubs laufen Sturm gegen die Einschränkung – im Kanton Bern protestieren die betroffenen Eishockey-Clubs in Bern, Biel und Langnau lautstark, ebenso der Fussballklub YB. Sie sind wütend und enttäuscht.

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Immerhin hatten sich die Sportverbände erst vor zwei Monaten noch gegen eine allzu harte Linie von Gesundheitsminister Alain Berset (48) durchgesetzt. Dieser hätte das Veranstaltungsverbot lieber noch weiter verlängert – oder zumindest einen engeren Rahmen gesteckt.

Berset musste nachbessern

Doch nach einer Turbo-Konsultation von Kantonen, Ämtern und Verbänden Ende August musste der SP-Magistrat in einigen Punkten zurückkrebsen. Vor allem auf Druck der Verbände und Ligen, die ein starkes Lobbying betrieben haben.

Ursprünglich schlugen Berset und sein Bundesamt für Gesundheit eine generelle Sitzplatzpflicht in allen Bereichen vor. Zudem hätte jeweils ein Sitz zwischen Einzelpersonen oder Besuchergruppen aus dem gleichen Haushalt frei bleiben sollen. Bei Innenraum-Anlässen wollte Berset nur die Hälfte der Kapazitäten besetzt wissen, im Aussenbereich immerhin zwei Drittel.

Diese strikten Sitzplatz-Vorgaben stiessen auf massive Kritik, wie die damaligen Konsultationsunterlagen zeigen, die BLICK gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat. Berset musste einlenken – die Maximalauslastung in den Stadien wurde allgemein auf zwei Drittel erhöht, die Platzfreihalte-Pflicht gestrichen. Stehplätze sind bei gewissen Outdoor-Veranstaltungen wie etwa Radrennen nun erlaubt.

Mit Alkoholverbot aufgelaufen

Auch bei den Vorschlägen im Gastrobereich musste Berset nachbessern. Auf Druck der Kantone – gemäss GDK-Stellungnahme wollte über die Hälfte der kantonalen Anhörungsteilnehmer ein explizites Alkoholverbot – wollte Berset die Zapfhähne in den Sportstadien schliessen. Im Bundesrat lief er mit dieser Forderung auf. Auch die Sportverbände stellte sich gegen das Verbot: Es handle sich um eine Diskriminierung gegenüber den allgemeinen Gastrobetrieben, monierten sie mit Erfolg.

Abstand nehmen musste Berset auch von der Idee, die Sportfans ausserhalb der Stadionrestaurants nur über «fliegende Verkäufer» zu verpflegen. «Die Organisation von fliegenden Verkäufern ist aufgrund der Platzverhältnisse in verschiedenen Stadien unmöglich», empörte sich die Swiss Football League. Buffets und Cateringstände müssten dringend möglich sein. «Es ist undenkbar, dass diese Verkäufer innerhalb der Sitzreihen zirkulieren können», warnte auch der Verein der Stadion- und Arenabetreiber. «Dann werden Getränke und Speisen auf Distanz weitergereicht, was sogar kontraproduktiv ist, das die Speisen und das Geld durch viele Hände gehen.» Berset hatte ein Einsehen und erlaubte Imbissstände – allerdings dürfen die Waren nur am Platz konsumiert werden.

Knackpunkt ist, was ausserhalb der Stadien passiert

Doch nun sehen sich die Sportverbände um ihre Früchte gebracht. Gerade die Klubs haben detaillierte Schutzkonzepte erarbeitet und für die Umsetzungsmassnahmen viel Geld investiert. Das anerkennt auch GDK-Mann Jordi: «Die Schutzkonzepte in den Stadien sind zwar gut und wirken», sagt er – fügt jedoch gleich an: «Der Knackpunkt ist aber, was vor und nach den Spielen ausserhalb der Stadien passiert.»

Dass mit weiteren kantonalen Grossveranstaltungs-Verboten ein neuer Flickenteppich entstehen könnte, ist sich auch die GDK bewusst. Er habe Verständnis dafür, dass die nationalen Ligen eine gesamtschweizerische Lösung möchten, so Jordi. «Wir haben die Frage mit dem Bund diskutiert. Da es aber auch Grossveranstaltungen mit regionalem Charakter gibt, möchte der Bundesrat den Entscheid weiterhin den Kantonen überlassen.»

Das ist allerdings nicht bei allen Kantonen gut angekommen, so hat sich die GDK schon im Sommer skeptisch gegenüber Grossveranstaltungen gezeigt. «Es ist schwierig, der Bevölkerung verständlich zu erklären, weshalb private Partys eingeschränkt und gleichzeitig Grossveranstaltungen durchgeführt werden», sagt Jordi.

Ins gleiche Horn stösst der Basler CVP-Regierungsrat und GDK-Präsident Lukas Engelberger (45): Mit dem Entscheid des Bundesrates, Menschenansammlungen von mehr als 15 Personen zu verbieten, habe sich die rechtliche Situation verändert. «Das verträgt sich schlecht mit Grossveranstaltungen mit Tausenden Personen, selbst wenn es im Stadion ein Schutzkonzept gibt», sagt er. Deshalb stünden die Grossveranstaltungen auf dem Prüfstand.» Mehrere Kantone würden die Bewilligungspraxis nun neu anschauen. «Das liegt an der schweren Belastung des Contact-Tracings und am Wachstum der Fallzahlen», erklärt er.

Kantone diskutieren 1000er-Grenze

Den Entscheiden in den Kantonen will Lukas Engelberger nicht vorgreifen. Doch in verschiedenen Kantonen wird eine Rückkehr zur 1000er-Grenze noch diese Woche diskutiert. So zum Beispiel im Kanton Aargau: «Wir prüfen in den nächsten Tagen, wie es mit dem FC Aarau weitergehen soll», sagt SVP-Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati (54). In Zürich drängt SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli (43) auf ein Verbot, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten – die Kantonsregierung dürfte noch dies Woche entscheiden.

In St. Gallen und Baselland stehen schon heute Entscheide an. Die St. Galler Regierung hat für heute Nachmittag um 13.30 Uhr eine Medienkonferenz zum weiteren Vorgehen in der Corona-Frage angekündigt.

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