274 neue bestätigte Corona-Fälle vermeldete das Bundesamt für Gesundheit am Mittwoch. Letztmals lagen die Zahlen Mitte April höher. Der jüngste Sprung dürfte auch die Bundesräte aufgeschreckt haben, die just gleichentags über das Grossveranstaltungsverbot entscheiden mussten.
Das Resultat ist ein Kompromiss, den SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48) seinen Kollegen im letzten Moment präsentiert hatte. Das Verbot wird um einen Monat verlängert. Ab 1. Oktober sind Grossanlässe mit über 1000 Personen wieder erlaubt. Allerdings nur unter Auflagen und unter Bewilligung durch den jeweils zuständigen Kanton.
In den nächsten Wochen will Berset gemeinsam mit den Kantonen einheitliche Kriterien für das Zulassungsprozedere erarbeiten.
Berset musste Überzeugungsarbeit leisten
Berset selbst hätte das Verbot eigentlich lieber noch um zwei, drei Monate verlängert, die Mehrheit der kantonalen Gesundheitsdirektoren gar bis Ende Jahr. Die bürgerlichen Bundesräte – allen voran die beiden SVP-Bundesräte Ueli Maurer (69) und Guy Parmelin (60) – hätten am liebsten schon Anfang September geöffnet.
Doch nach einer intensiven Diskussion obsiegte Bersets Kompromiss-Vorschlag. Vor der entscheidenden Sitzung wurde bilateral noch viel Überzeugungsarbeit geleistet, wie man aus der Verwaltung hört. Schliesslich musste selbst Ambri-Piotta-Fan Maurer klein beigeben.
Das Hauptargument, welches verfing: Die Kantone brauchen schlicht mehr Zeit, um sich auf den Übergang vorzubereiten und ihr Contact Tracing zur Rückverfolgung der Corona-Fälle weiter auszubauen. Denn schon das Ferienende und die Rückkehr an Arbeitsplätze und in Schulen sind für die Kantone eine Herausforderung. Und Grossanlässe sind potenzielle Superspreader-Events – ein Risiko.
Im Moment habe man die Situation noch im Griff, argumentierte Berset im Bundesrat. Um mit dem nächsten Lockerungsschritt ein kalkulierbares Risiko eingehen zu können, brauche es genügend Vorbereitungszeit – und keinen Schnellschuss, der alles wieder aufs Spiel setzt.
Bürgerliche schwenken auf Vernunftlösung ein
Mit dieser Argumentation bremste der Gesundheitsminister die Öffnungsturbos. «Eine Umsetzung auf Anfang September wäre schlicht nicht realistisch gewesen, das mussten wir einsehen. Es ist eine Vernunftlösung», heisst es aus einem bürgerlichen Departement. So sei der Widerstand schliesslich nicht mehr allzu gross gewesen.
Lieber gewährt man dem Gesundheitsminister und den Kantonen noch eine Zusatzschlaufe, um eine saubere Lösung auf die Beine zu stellen, anstatt ein unausgegorenes Konzept übers Knie zu brechen. Passend zu Bersets Lockerungs-Credo: So schnell wie möglich und so langsam wie nötig.
Wobei man sich im bürgerlichen Lager die hämische Frage nicht verkneifen mag, ob der SP-Magistrat eigentlich den ganzen Sommer im Winterschlaf verbracht habe, anstatt sich rechtzeitig auf das Verbotsende vorzubereiten.
Ab Oktober die Kantone am Drücker
Seis drum: Ab Oktober sind weitgehend die Kantone am Drücker. Sie müssen künftig jeden Grossanlass bewilligen. Lassen es die epidemiologische Lage in einem Kanton oder die Ressourcen für das Contact Tracing nicht zu, können sie eine Bewilligung auch verweigern. Oder restriktivere Schutzmassnahmen anwenden – allenfalls auch wieder temporäre Zuschauer-Limiten.
«Die Vorbereitung ist jetzt absolut zentral für uns», sagte SP-Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) vor den Medien. Und mahnte: «Die Lockerung ist kein Freipass, sondern bringt mehr Verantwortung.»
Berset wiederum betonte: «Nach sechs Monaten Pandemie müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben.»