Darum gehts
- Österreichs Politikbeobachter sehen Schweizer System als Vorbild
- Land erlebt Regierungskrisen, Korruptionsskandale und erschüttertes Vertrauen
- Wäre das Schweizer System auch für Österreich geeignet?
In Österreich folgt eine Regierungskrise der nächsten, während in der Schweiz alles stabil bleibt. So sehen es zumindest Wiener Politikbeobachter. Sie halten unsere Politik für langweilig – für wohltuend langweilig!
Fakt ist: Österreichs Politik gleicht einer Achterbahnfahrt. Ständige Ministerwechsel, Korruptionsskandale und Ermittlungen gegen Spitzenpolitiker haben das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert.
Nach dem Wahlsieg der rechtspopulistischen FPÖ von Herbert Kickl (56) zogen sich die Regierungsverhandlungen über fünf Monate hin – ein Rekord. Erst im zweiten Anlauf konnte die konservative ÖVP unter Christian Stocker (65) eine Dreierkoalition schmieden. Zwischendurch schien es sogar, als würde Kickl Kanzler werden. Die Erschöpfung nach den turbulenten Monaten sitzt tief.
In Österreich wächst die Sehnsucht nach mehr Stabilität – und damit nach einem System, das dem der Schweiz ähnelt. Hier gibt es keine abrupten Regierungswechsel oder monatelange Koalitionsverhandlungen. Es gelten ungeschriebene Gesetze: Im Bundesrat sollen alle wichtigen politischen Kräfte eingebunden sein. Und normalerweise werden alle Mitglieder im Amt bestätigt, die weitermachen wollen.
«Schweiz will keine Superstars produzieren»
Könnte das auch in Österreich funktionieren? Ja, sind Insider überzeugt. Die Debatte so richtig lanciert hat der ÖVP-nahe Politikberater und Publizist Wolfgang Rosam (68). Eine «miserable politische Leistung» habe die jüngste Zeit geprägt, schrieb er kürzlich in einem grossen Beitrag für die Tageszeitung «Der Standard» – und forderte: «Lasst uns Österreich neu denken!» Die Probleme seien auch systembedingt.
Die Schweiz dagegen biete «das derzeit wahrscheinlich beste Demokratiesystem weltweit». Auch Österreich brauche «ein neues System, das – ähnlich jenem in der Schweiz – alle gewählten Parteien in eine Regierungsverantwortung nimmt und sie zu einem ‹Konsens› verpflichtet».
Rosam weiter: «Die Politikerinnen und Politiker nehmen sich in der Schweiz nicht so wichtig.» In Österreich kenne man nicht einmal die Namen der Regierungsmitglieder im Nachbarland. Denn in der Schweiz diene die Politik als Lenkungsinstrument, «das eine funktionierende Wirtschaft sicherstellen soll, die Wissenschaft fördert und den Menschen mit einer grösstmöglichen Selbstständigkeit zu einem grossartigen Selbstbewusstsein verhilft».
Tatsächlich sind unsere sieben Bundesräte ausserhalb der Schweiz praktisch unbekannt. Die österreichische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins «Forbes» brachte es unlängst so auf den Punkt: «Die Schweiz ist kein Land, das Einzelpersonen glorifiziert. Das politische System ist darauf ausgelegt, dass weitgehend gesichtslose Politiker das Land in einem auf Konsens ausgelegten System führen.»
Das führe zu langfristiger Stabilität – sei aber «bis zu einem gewissen Grad auch langweilig». Zumindest laut «Forbes» könnte man fast sagen: «Die Schweiz will keine Superstars produzieren, egal ob in Politik, Wirtschaft oder sonst wo.»
Schon vor einigen Monaten war der österreichische Industrielle Thomas Salzer (55) vorgeprescht. Man müsse offen über eine «Konzentrationsregierung nach Schweizer Vorbild» diskutieren, so seine Forderung. Zugleich hatte sich Salzer im «Standard» wenig hoffnungsvoll gezeigt. Er glaube selbst nicht, «dass das zustande kommt».
Bundespräsidentin Keller-Sutter: «Wahnsinnig langweilig»
Ob Österreich tatsächlich einen Schritt in Richtung Schweizer System macht, ist fraglich. Ohnehin blenden die Wiener Beobachter aus, dass auch in Bundesbern nicht alles glatt läuft – und manche die Konkordanz als zu träge empfinden.
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen (81) wurde Anfang des Jahres beim Besuch von Karin Keller-Sutter (61) gefragt, ob das «Modell Schweiz» eine Lösung für Österreichs politische Instabilität sein könnte. Seine Antwort: «Ich kann nur davor warnen, so blind hineinzustolpern in die Idee, ein anderes Land einfach so kopieren zu können.»
Auch aus Keller-Sutters Sicht lassen sich die beiden Systeme nicht vergleichen. «Ich muss sagen: Je länger ich dabei bin, umso mehr schätze ich das Schweizer System», sagte sie und verwies auf die reibungslose Wahl neuer Bundesratsmitglieder. «Es ist wahnsinnig langweilig für Aussenstehende, aber es funktioniert.»