Auf einen Blick
Nach fünf Monaten Blockade hat Österreich wohl endlich eine neue Regierung. Nur: Diese sogenannte «Zuckerl-Koalition» – bestehend aus ÖVP, SPÖ und Neos – ist ein politisches Frankenstein-Monster. Sie besteht aus Einzelteilen, die nicht zusammengehören. Einzige Gemeinsamkeit: Die Truppe will den umstrittenen FPÖ-Rechtsaussen-Politiker und Wahlsieger Herbert Kickl (56) vom Kanzleramt fernhalten.
Fast keine gemeinsamen Ziele, dafür ein gemeinsames Feindbild. Kann eine solche Koalition funktionieren – oder wird das Polit-Puff nur noch grösser?
Zukunft der Koalition ungewiss
Die Einigung zwischen den konservativen Christdemokraten der ÖVP, den Sozialdemokraten der SPÖ und den wirtschaftsliberalen Neos kam erst nach monatelangen Verhandlungen und gescheiterten Gesprächen zustande.
Rückblende: Die Nationalratswahlen im September 2024 gewann die FPÖ mit Spitzenkandidat Kickl mit 28,8 Prozent – dem besten Resultat der Geschichte. Allerdings wollte keine andere Partei mit der FPÖ koalieren – oder Kickl gar das Kanzleramt überlassen.
Die Konsequenz: eine instabile Dreierkoalition, die von Anfang an auf wackligen Beinen steht. Und: Wirklich in trockenen Tüchern ist noch nichts. Obwohl am Donnerstag das Regierungsprogramm vorgestellt wurde, werden die Neos die Koalition erst am Sonntag bei der Mitgliederversammlung absegnen lassen.
Die drei Parteien scheinen nicht langfristig zu planen. Wichtige Dossiers – wie beispielsweise das nationale Budget – wurden im Regierungsprogramm nur bis 2027 durchgeplant anstatt für eine volle Amtszeit. Der ÖVP-Generalsekretär und designierte Bundeskanzler Christian Stocker (64) erklärte die Auffälligkeit am Donnerstag mit Pragmatismus in unsicheren Zeiten – «alles andere wäre unseriös».
FPÖ könnte von Unsicherheit profitieren
Die grössten Sollbruchstellen liegen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und knapper Haushaltsmittel wird es schwierig sein, diese Gegensätze mit grosszügigen Kompromissen zu überdecken. Hinzu kommt, dass die Neos als kleinster Partner in der Koalition besonders darauf bedacht sein werden, ihre eigene Handschrift in der Regierungspolitik zu hinterlassen.
Ebenfalls erschwerend: Die FPÖ sitzt der Regierung als stärkste Oppositionskraft im Nacken. Je instabiler die «Zuckerl-Koalition» wirkt, desto stärker kann sich die FPÖ als glaubwürdige Alternative präsentieren. Schon jetzt zeigt sich in Umfragen, dass Kickls Partei weiter an Zustimmung gewinnt. Laut Umfragen der grossen österreichischen Zeitungen erreicht die FPÖ aktuell noch immer 35 Prozent Zustimmung. Jede innenpolitische Krise der Regierung könnte diesen Trend verstärken.
Blickt Deutschland in dieselbe Zukunft?
Österreich ist mit diesem Dilemma nicht allein. Auch in Deutschland steht die politische Mitte vor einer ähnlichen Frage: Die AfD hat sich bei den Bundestagswahlen vom Sonntag zur zweitstärksten Kraft entwickelt. Trotzdem schliesst die Union als Wahlsiegerin eine Koalition mit ihr aus.
Die Erfahrungen aus Österreich könnten für Deutschland relevant sein. Regierungskoalitionen, die vorrangig aus einer Abwehrhaltung heraus entstehen, laufen Gefahr, instabil und kurzlebig zu sein. Die Wähler könnten eine solche Strategie als schwach oder opportunistisch wahrnehmen – und sich erst recht den Rechtsaussen-Parteien zuwenden.