Über 10 Millionen Deutsche wählten AfD – aber keine Partei will eine Zusammenarbeit
So gehen andere Länder mit Rechtspopulismus um

Für die deutschen regierungsbildenden Parteien kommt eine Zusammenarbeit mit der erfolgreichen AfD nicht infrage. Andere Staaten haben aber Rechtspopulisten in der Regierung zugelassen. Wir zeigen, welches die Folgen sind.
Publiziert: 20:29 Uhr
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Aktualisiert: 20:35 Uhr
Italien: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den Fratelli d'Italia hat mit ihrem europafreundlichen Kurs überrascht.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Guido FelderAusland-Redaktor

Die AfD hat in Deutschland zugeschlagen. Mit knapp 21 Prozent der Stimmen ist sie hinter der CDU/CSU zur zweitstärksten Partei aufgestiegen. Obwohl über zehn Millionen Deutsche die Rechtspartei gewählt haben, will weiterhin keine andere Partei mit ihr zusammenarbeiten. 

In mehreren europäischen Ländern sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Anders als in Deutschland werden sie teilweise in die Regierungsverantwortung miteinbezogen. Wir zeigen, in welchen Ländern die Rechten das Sagen haben und wie sich populistisch regierte Länder entwickeln. 

Finnland: Seit 2023 sitzt die rechtspopulistische Finnenpartei (früher: Wahre Finnen) als Nummer zwei mit den Konservativen in der Regierung. Nach anfänglichen Skandalen – ein Minister hatte Kontakte in die Nazi-Szene, die Finanzministerin soll zudem früher Einwanderer verunglimpft haben – hat sich die Lage beruhigt. Der bedrohliche Nachbar Russland schweisst zusammen. 

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Deutschland: Alice Weidels AfD ist mit 21 Prozent die zweitstärkste Partei geworden, wird aber kategorisch ausgeschlossen.
Foto: Getty Images

Schweden: Die bürgerliche Minderheitsregierung wählte 2022 einen Sonderweg. Die nationalistischen Schwedendemokraten sind als zweitstärkste Kraft zwar nicht an der Regierung beteiligt, geniessen aber offiziell ein Mitspracherecht. Das führte zu einer inzwischen strikten Einwanderungspolitik. 

Österreich: Bei den Wahlen 2024 wurde die rechtspopulistische, teils als rechtsextrem geltende FPÖ erstmals stärkste Partei und hätte mit Herbert Kickl (56) den Kanzler stellen können. Weil die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP an einem Streit über die Verteilung der Ministerien scheiterten, stellt die ÖVP nun eine Regierung ohne die FPÖ auf. 

Italien: 2022 gewannen die postfaschistischen Fratelli d’Italia die Wahlen und stellen seither mit Giorgia Meloni (48) die Ministerpräsidentin. Sie überrascht, denn sie bekennt sich klar zur EU und zur Nato. Unter ihr wurde das Asylrecht weiter verschärft, die Auslagerung der Asylverfahren nach Albanien ist aber bisher nicht erfolgreich. 

Frankreich: Bei den Parlamentswahlen 2024 schlossen sich linke Parteien kurzfristig zu einer Allianz zusammen, um einen Sieg des rechtspopulistischen bis rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen (56) zu verhindern. Mit Erfolg. Zwar holte der RN als Einzelpartei am meisten Stimmen, musste sich aber gegen das Links-Bündnis Nouveau Front populaire geschlagen geben. Die aktuelle Regierung unter Premierminister François Bayrou (73) versucht mit den schwierigen Mehrheitsverhältnissen umzugehen, indem sie teilweise auf Anliegen des RN eingeht und selber Richtung rechts rutscht.

Ungarn: Das Sorgenkind der EU entfernt sich unter Ministerpräsident Viktor Orban (61) von der nationalkonservativ-rechtspopulistischen Partei Fidesz immer weiter weg von Brüssel. Der seit 2010 zum zweiten Mal regierende Orban zeigt offen seine Sympathien für Russland. Versuche, ihn zu stürzen, sind gescheitert. 

Dänemark: Die nationalkonservativ-rechtspopulistische Dänische Volkspartei ist in den vergangenen zehn Jahren von 21 Prozent auf knapp 3 Prozent geschrumpft. Grund: Die Regierungskoalition unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (47) hat eine restriktive Migrationspolitik eingeführt und so den Rechten das Wasser abgegraben. Das heisst aber auch, dass sich das ganze politische Spektrum nach rechts verschoben hat. 

Niederlande: Die stärkste Partei, die rechtspopulistische Partei für die Freiheit, bildet die Regierung mit drei andern rechten Parteien. Um eine Koalition zu ermöglichen, musste Parteichef Geert Wilders (61) – der selber nicht in der Regierung sitzt, aber Einfluss ausübt – seine radikalsten Forderungen wie EU-Austritt oder Koran-Verbot aufgeben. Die Regierung liegt wegen Migration und Klimapolitik mit Brüssel im Streit. 

Warum erstarken die Rechten?

Die Gründe für den Erfolg der Rechtspopulisten haben oft mit Krisen zu tun, welche die Menschen überfordern und auf die Rechtspopulisten einfache Antworten haben. Teresa Völker (30), Extremismusexpertin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, sagt gegenüber Blick: «Demokratische Parteien sind oft überfordert, lösungsorientiert und zielgerichtet zu reagieren, eigene Themen zu setzen und nicht den radikalen Forderungen hinterherzulaufen.»

Deshalb nimmt sie auch die demokratischen Parteien in die Pflicht, die statt eigene Lösungen zu formulieren «zunehmend Themen der extremen Rechten zur Migration und Sicherheit aufgreifen», etwa nach den Terroranschlägen in Deutschland und dadurch der rechten Schwerpunktsetzung hinterherhinken. Völker: «Öffentliche Debatten haben den Weg für rechtsextreme Kräfte geebnet, Teil des politischen Systems zu werden und Zugang zu demokratischen Institutionen zu erhalten.» 

Forscher ziehen negative Bilanz

Bleibt die Frage, ob man solche Parteien in die Regierungsverantwortung einbeziehen oder isolieren soll. Die Politologen Adrian Vatter (59) und Rahel Freiburghaus (30) von der Universität Bern zogen vor kurzem in einer Kolumne über rechtspopulistisch regierte Länder eine negative Bilanz: «Wo Populisten regieren, sinken Wirtschaft und Konsum. Und es wächst die Schere zwischen Arm und Reich.» 

Auch Völker ist skeptisch: «Die Zusammenarbeit mit radikalen Kräften kann zu einer Radikalisierungsspirale und langfristig zu Demokratieabbau führen.»

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