Die rechtspopulistische AfD hat in Deutschland einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Nur zehn Jahre nach ihrer Gründung 2013 in Oberursel bei Frankfurt liegt sie heute bei Umfragen auf Platz zwei – hinter der CDU/CSU und noch vor der Kanzlerpartei SPD. Im 736-köpfigen Bundestag stellt sie zurzeit 78 Vertreterinnen und Vertreter.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte bezeichnet die AfD als Gefahr für die Demokratie. Seit ihrer Gründung habe sie sich «fortlaufend radikalisiert und zu einer rechtsextremen Partei entwickelt». Auch bürgerliche Politiker distanzieren sich. Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum (90) fordert von Kanzler Olaf Scholz (SPD, 65) «Klartext» zur AfD. Wer wie Scholz die AfD als «Schlechte-Laune-Partei» abtue, verharmlose sie. «Leute, wacht auf!», sagte Baum in diesen Tagen in einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa.
Der Verfassungsschutz hat die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft und unter Beobachtung gestellt. Auch Björn Höcke (51), den Fraktionsvorsitzenden der AfD Thüringen, den Blick zum Interview getroffen hat, bezeichnet der Verfassungsschutz als rechtsextrem.
So gefährlich ist die AfD
Wie gefährlich ist die AfD wirklich? Jonathan B. Slapin (43), Professor für Europapolitik an der Uni Zürich, sieht das im Gespräch mit Blick sehr differenziert: «Es ist zweifellos wahr, dass die Äusserungen vieler AfD-Politiker im Laufe der Zeit radikaler geworden sind. Insbesondere Höckes Zitate zielen darauf ab, Hitler und die Nazis zu relativieren, und legen nahe, dass die Deutschen nicht durch ihre Nazi-Vergangenheit belastet werden sollten.»
So seien die AfD und ihre Reden insofern gefährlich, als Menschen solche Bedrohungen gegen Einwanderer und andere, insbesondere Minderheiten, als normal und akzeptabel empfinden könnten.
Frust über Regierung
Dass die AfD zurzeit einen derart grossen Zuspruch hat, führt Slapin vor allem auf die aktuelle Regierung zurück. «Wir sehen die Frustrationen, die daraus resultieren, dass drei ideologisch unterschiedliche Parteien in der Regierung Schwierigkeiten haben, sich zu einigen, gepaart mit der Existenz einer radikalen Rechtspartei. Dies ermöglicht es den Umfrageteilnehmern, der Regierung einen grossen Stinkefinger zu zeigen.»
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Slapin zweifelt allerdings daran, dass die AfD bei Wahlen wirklich die in Umfragen erzielte Zustimmung erhalten würde. «Die Menschen in ganz Deutschland wählen nicht für die AfD – sie bekunden lediglich in Umfragen ihre Unterstützung. Hier gibt es einen grossen Unterschied.»
Verbot bringt nichts
Slapin sieht auch keine direkte Gefahr für die deutsche Demokratie. «Seltsamerweise legen die AfD und viele andere radikale Rechtsparteien tatsächlich grossen Wert auf direkte Demokratie und plädieren oft für mehr Referenden und Initiativen. Oft verweisen sie auf die Schweiz als Beispiel», sagt Slapin.
Um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, müsste man die Stärken Deutschlands noch mehr hervorheben. «Trotz Eurozonen- und Einwanderungskrise hat die Unterstützung der Deutschen für Einwanderer, die EU und die Demokratie sogar zugenommen», sagt Slapin. Von einem Verbot der AfD hält er nichts. Slapin: «Ein Verbot von Parteien funktioniert in der Regel nicht und würde nicht zu einer Verringerung der Unterstützung führen. Individuen, die ähnliche Ideen vertreten, würden sich unter einem andern Label organisieren.»