Am Montag rollten Militärfahrzeuge der französischen Armee durch die Schweiz – auf der Durchreise nach Bosnien und Herzegowina. Weil die Schweiz Teil der militärischen Friedensförderung auf dem Balkan ist, brauchten die Franzosen für diesen Transit keine Genehmigung des Bundesrats.
Die Fahrzeuge waren nicht auf der Autobahn unterwegs, sondern auf einem Eisenbahnzug. Wenn es nach der Nato und dem VBS geht, werden ausländische Streitkräfte künftig häufiger und unkomplizierter in der Schweiz unterwegs sein.
Aktuell setzt sich die von VBS-Chefin Viola Amherd (61) eingesetzte Studienkommission Sicherheitspolitik mit dieser Frage auseinander. Im Fachjargon ist von «Pesco» oder vom «Schengen der Streitkräfte» die Rede – gemeint ist ein grenzüberschreitender Truppentransport. Amherds Studienkommission schreibt in einem Entwurf, der Blick vorliegt: «Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit ist die Permanent Structured Cooperation (Pesco) mit dem Ziel der strukturellen Integration der Verteidigung, und darin das Programm Military Mobility (auch «Schengen der Streitkräfte» genannt).»
Hürden abbauen
Es gehe darum, grenzüberschreitende Truppentransporte zu vereinfachen, indem administrative Hürden abgebaut werden. An Pesco beteiligten sich ausser den EU-Mitgliedländern auch die USA, Kanada, Grossbritannien und Norwegen. «Die Schweiz ist daran bislang nicht beteiligt, könnte aber davon profitieren, um insbesondere die Zusammenarbeit mit ihren Nachbarländern zu vereinfachen», schreiben Amherds Sicherheitsexperten.
Das «Schengen der Streitkräfte» war auch Thema eines sicherheitspolitischen Treffens zwischen der Schweiz und Frankreich. Pälvi Pulli (53), stellvertretende Staatssekretärin für Sicherheitspolitik, leitete die Schweizer Delegation. Das VBS sicherte zu, die Zusammenarbeit im Bereich von Cybertrainings und militärischer Mobilität zu prüfen.
Der Chef der Armee, Thomas Süssli (57), sagt über das geplante «Schengen der Streitkräfte» zu Blick: «Solche Transporte durch die Schweiz sind ein politischer Entscheid.» Will heissen: Das muss der Bundesrat entscheiden.
Die Nato freut sich über die Kooperationsbereitschaft der Schweiz. «In einem Konfliktfall an der Ostflanke des Bündnisses müsste man in kurzer Zeit sehr umfangreiche Kräfte heranschaffen. Das betrifft dann nationalstaatliche Befugnisse und Regelungen», sagt der beigeordnete Nato-Generalsekretär Boris Ruge (61) zu Blick.
«Reines Übungsszenario»
Der Nato-Diplomat wirbt dafür, dass die Schweiz an Nato-Übungen teilnimmt, die einen Angriffsfall trainieren. «Das ist eine souveräne Schweizer Entscheidung. Durch Übungen, die unter Artikel 5 fallen, verpflichtet sich die Schweiz in keiner Weise dazu, der Nato zu Hilfe zu eilen.» Es gehe um ein «reines Übungsszenario», von dem sowohl die Schweiz als auch die Nato profitierten.
Aufgrund der Schweizer Neutralität und des Kriegsmaterialgesetzes, das Rüstungsexporte in die Ukraine verbietet, ist die Schweiz international in Kritik geraten. «Uns ist die Schweizer Tradition und Politik der Neutralität bewusst. Aber es geht um Sein oder Nichtsein für die Ukraine», betont Ruge. «Normen werden verletzt. Menschenleben werden geopfert. Und es geht um die europäische Sicherheitsordnung. Ich nehme an, dass alle diese Dinge in der Schweizer Diskussion reflektiert werden. Ich fände es jedenfalls gut, wenn sie reflektiert würden.»
Kritiker von Bundesrätin Viola Amherd sehen im «Schengen für Streitkräfte» eine weitere Annäherung an die Nato. Am Donnerstag reichte die Gruppierung «Pro Schweiz» die Volksinitiative zur «Wahrung der schweizerischen Neutralität» ein. Sie verlangt, dass die Schweiz keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis beitritt. Auch die Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen soll nur zulässig sein, wenn die Schweiz direkt angegriffen wird. Auch Sanktionen darf die Schweiz weder anordnen noch mittragen, es sei denn, sie ist gegenüber der Uno dazu verpflichtet. Zudem verpflichtet die Neutralitäts-Initiative die Schweiz, Gute Dienste anzubieten.